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Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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war vermutlich das Gefühl, das Petra und Priit ganze Tage lang hatten.
    Ausgerechnet in diesem Moment legte Petra den Arm um meine Schulter. Sie fragte, ob es mir gut gehe.
    Ich hob den Daumen hoch.
    Die Straße, die uns entgegenkam, konnte ich nicht richtig sehen. Ich musste blinzeln, um die Augen wieder klar zu bekommen. Ich wischte sie mit dem Handrücken trocken.
    Wir fuhren aus dem Beton hinaus wieder ins Grüne. Um uns herum lagen Felder und Weiden. Da und dort stand ein Haus in einem Wäldchen aus Sträuchern und Bäumen.
    Priit hielt mir seine volle Brotdose vor die Nase.
    »Oh ja«, sagte ich, als könnte ich ein ganzes Schwein essen.
    In der Dose waren dick geschnittene Brotscheiben mit einer Art Butter, die ich nicht kannte. Die Butter war glasig und roch ranzig, aber vielleicht kam der Geruch auch von den dicken, blassen Wurstscheiben, mit denen das Brot belegt war.
    Ich nahm ein Brot und biss hinein. Die Wurst war fett und schmeckte nach Blut. Außerdem waren krachende Stückchen darin.
    Petra und Priit griffen hungrig zu. Sie sperrten die Münder weit auf und stopften so viel Brot und Wurst wie möglich hinein. Sie kauten nicht besonders gründlich.
    Der Lieferwagen fuhr mit zu hoher Geschwindigkeit über eine Straßenschwelle.
    Bei dem Geschaukel fiel ich gegen Petra.
    Sie kicherte mit vollem Mund und versetzte mir einen Rippenstoß.
    Ich versuchte zu tun, als würde mir ihr Stoß gefallen, und nahm den letzten Bissen Brot und Wurst. Es fühlte sich an, als würde der Rest des Brots in meiner Speiseröhre stecken bleiben. Ich wollte nicht undankbar erscheinen. Ich schmatzte, als hätte ich gut gegessen, und wischte mir die Hände an der Hose ab.
    Priit legte seine Hand auf den Schalthebel und fuhr langsamer. Wir bogen nach rechts in einen holprigen Feldweg ein.
    Hier in der Gegend kannte ich kein einziges Haus, kein Verkehrsschild, keinen Baum. Hinter dem Lieferwagen wuchs eine Wand aus Staub, als würden wir durch eine Landschaft fahren, die nach uns aufhörte zu existieren.
    Zu beiden Seiten des Wegs lag, so weit ich blicken konnte, nur Müll. Zwei Müllwüsten, zwischendurch da und dort ein Strauch. Rechts von mir sah ich verschieden hohe Berge aus alten Ziegelsteinen. Sie waren nach Farben sortiert: rote, graue, gelbe.
    Wir fuhren den holprigen Feldweg entlang, auf eine zitternde Luft zu, hinein in einen grünen Wald. Dort bogen wir unter hohen Bäumen um eine scharfe Kurve, wo es kühler war. Hier wuchsen runde, freundliche Sträucher.
    Hinter der nächsten Kurve war kein Teich, auch kein kühler Wald, wie ich gehofft hatte, sondern wieder ein kahles Gelände. Alles glühte in der Sonne. Es war, als wären wir in einem anderen Land angekommen.
    Mitten auf dem offenen Gelände lag ein riesengroßes Nest aus Betoneisen und Rohren und verbogenen Metallteilen. Priit hielt den Lieferwagen an.
    Ohne etwas zu sagen, stieg er aus.
    Petra ließ die Tür offen und folgte ihm, nur ich wusste nicht, was ich tun sollte.
    Die Luft umgab mich wie warmer Brei.
    Petra und Priit waren nirgends zu sehen. Sie schienen sich im Dampf aufgelöst zu haben.
    Die Sonne brannte mir auf das Gesicht. In der Nähe stand ein Strauch, der Bienen anlockte. Ich hörte sie so laut summen, dass ich einen Moment lang dachte, ich wäre der Strauch, um den sie herumsummten.
    Ich legte mir die Hände wie einen Mützenschirm über die Augen.
    Um ein stilles Haus in der Ferne lag sehr viel nackte Erde. Sand wehte auf.
    Das Licht war so grell, dass ich davon niesen musste.
    »Hoppla«, hörte ich jemanden sagen.
    Aus der Ferne kam eine Frau auf mich zu. Meiner Meinung nach trug sie das Licht auf dem Rücken. Ich musste meine Augen zu Schlitzen zukneifen, um sie sehen zu können.
    Neben ihr trabte ein gefleckter Hund. Er blieb in einiger Entfernung stehen und hob eine Pfote, um sich zu kratzen.
    Die Frau war klein, ihre Beine wuchsen krumm aus ihrem Rumpf. Sie trug einen schwarzen Rollkragenpullover, an dem Haare und Holzwolle und Flügel von Weberknechten hingen. Der Pullover sah aus, als wäre er seit dem Winter nicht mehr gewaschen worden. Hinter ihrem Ohr steckte eine Haarnadel in Form eines Schmetterlings.
    Sie sagte: »Hallo« und lachte, dass man ihre Zähne sah. »Wer bist du?«
    Ich sagte: »Oskar.«
    »Oskar ist ein schöner Name«, sagte sie. Sie hatte eine freundliche Stimme und helle grüne Augen.
    Plötzlich bemerkte sie etwas hinter meinem Kopf. Sie lachte breit und stemmte die Hände in die Hüften.
    »Ach, da seid ihr

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