Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hinter der Milchstraße - Roman

Hinter der Milchstraße - Roman

Titel: Hinter der Milchstraße - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
etwas explodieren.
    Ich brauchte nicht zu Bossie hinüberzuschauen, um zu wissen, dass er fast starb. Seine Hände fielen gen Boden, seine Arme, sein Kopf, sein Rumpf. Sein Herz brach, sein ganzer Körper ging in die Brüche.
    »Scheißzeug«, sagte er.
    »Die sehen wir nie wieder«, sagte ich.
    Aber ich hatte mich in Calista getäuscht.
    Ein Stück weiter blieb sie stehen. Sie schaute über die Schulter zurück, als spähe sie über ein Mäuerchen.
    Ich sah, wie sie rechtsum kehrtmachte und auf ihren langen Beinen auf Bossie und mich zustolzierte. Ich dachte: Sie läuft wie ein Huhn. Ich dachte: Ich muss meine Arme kreuzen, meine Brust mit Luft vollpumpen. Ich muss unangreifbar sein. Ich darf nicht mit der Wimper zucken, keinen Muskel rühren.
    Ich sah ihre Faust auf mich zukommen.
    Sie knallte auf mein rechtes Auge.
    »Uch«, sagte ich.
    »Genau«, sagte sie. »Dumbo.«

LÜGNER
    Ich sah die Farbe, ich erkannte die Marke, und ein paar Sekunden lang schnappte ich nach Luft: Neben dem Bürgersteig hielt ein roter Jensen FF. Ich schwankte hin und her und konnte nur an eines denken: dass ich keinen anderen Jensen FF kannte als den roten von Geesjes Vater.
    Geesjes Vater stieg aus, ging um das Auto herum, steckte die Schlüssel in die Hosentasche. Er stellte sich neben Calista und sagte: »Habe ich gesehen, was ich gesehen habe?«
    Wie immer war seine Kleidung frisch gebügelt. Er trug ein sauberes Hemd, eine Hose mit Bügelfalte. Seine Schuhe glänzten wie neu. Einen Moment lang dachte ich, er habe ein Spiel angefangen. Es hieß Habe ich gesehen, was ich gesehen habe?. Er hatte eine Zehn-Punkte-Frage gestellt und wartete auf die Antwort.
    Ein scharfer Schmerz schoss mir durch die Augen bis zum Hinterkopf. Um mir nichts anmerken zu lassen, tat ich, als würde ich mich an der Stirn kratzen.
    Er sagte: »Vorsichtig, Os« und fragte Calista, ob sie mich geschlagen hätte. Seine Stimme war ruhig. »Ich glaube nämlich, dass ich das gesehen habe.«
    Calista blies die Wangen auf. Sie gab Geräusche von sich, als würde sie unter Wasser schwimmen, und schlug die Augen nieder.
    »Was knurrst du da, Mädchen? Ich verstehe dich nicht. Ich habe gefragt: Hast du Oskar geschlagen?«
    Es kostete Calista viel Mühe, mit dem Finger in meine Richtung zu deuten. Sie versuchte, ihr Kopfnicken auch ein bisschen wie Kopfschütteln aussehen zu lassen, und fing sofort an, mich zu beschuldigen.
    Sie sagte, ich hätte falsch gespielt, ich hätte ihr Geld weggenommen. Sie klickte mit der Zunge, weil sie selbst fand, es falsch gemacht zu haben. »Geklaut«, sagte sie.
    Ich steckte die Hand in die Hosentasche, um nach dem Geld zu tasten, das ich von Papa bekommen hatte, aber ich hielt in der Bewegung inne.
    Ich sah plötzlich, wer hinten im Jensen FF saß. Was ich sagen wollte, war plötzlich weg. Was ich erklären wollte, schrumpfte in meinem Mund.
    Geesje saß auf dem Rücksitz, kaum zwei Meter von mir entfernt. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt. In einer Hand hielt sie ein Taschentuch, in der anderen eine rosa Sonnenbrille.
    Ich hatte sie noch nie so klein gesehen.
    Sie hatte nicht vor, den Kopf in meine Richtung zu drehen. Sie starrte vor sich hin. Ab und zu spähte sie aus dem Augenwinkel herüber, als wolle sie Stücke von uns stehlen, um sie später wie ein Puzzle zusammenzusetzen.
    »Hast du ihr Geld weggenommen?«, fragte Geesjes Vater.
    »Gestohlen«, sagte Calista.
    »Ja oder nein?«
    Ich hob die Hände.
    »Nein«, sagte ich. »Ich finde nicht, dass ich es gestohlen habe. Sie hat hier bei ALTEISEN etwas mitgenommen. Bossie hat ihr beim Aussuchen geholfen.«
    »Nur ein bisschen«, sagte Bossie.
    »Ohne ihn und mich hätte sie nicht gefunden, was sie gesucht hat.«
    Ich dachte, ich hätte nichts mehr hinzuzufügen, aber da fiel mir plötzlich eine Bemerkung von Geesjes Mutter ein, ich hatte sie am Morgen gehört und war ganz still geworden. Jetzt konnte ich sie gut brauchen. Calista würde darunter zusammenschrumpfen wie eine Schnecke, auf die man Salz gestreut hatte.
    Ich sagte: »Ich war dabei.«
    Geesjes Vater machte: »Ach.«
    Calista zuckte nicht mit der Wimper. Ohne rot zu werden, sagte sie: »Du bist ein Lügner.«
    Ich bedankte mich bei ihr mit meiner gleichgültigsten Stimme, und ich schaute mit hochgezogenen Augenbrauen Geesjes Vater an.
    Er packte mich an der Schulter.
    »Ich frage es nicht noch einmal«, sagte er.
    »Ich lüge nicht«, sagte ich. »Ich habe dafür gesorgt, dass sie für ihre Karre bezahlt hat.« Ich

Weitere Kostenlose Bücher