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Hinter der Nacht (German Edition)

Hinter der Nacht (German Edition)

Titel: Hinter der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Walter
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und breit sah ich niemanden, nur die ebenfalls
grauen Fassaden der angrenzenden Häuser. Noch einmal checkte ich die Adresse
und Hausnummer. Vielleicht hatte sich der Taxifahrer ja geirrt? Aber alles
schien zu stimmen. Wo waren dann aber meine Gastgeber?
    Den Tränen nah
ließ ich mich auf meine Reisetasche sinken. Was sollte ich jetzt tun? Ich
kannte ja noch nicht einmal die Nummer der Auskunft, die mir ein Taxi zur
nächsten Jugendherberge hätte vermitteln können. Wahrscheinlich würde mir
nichts anderes übrig bleiben, als bei einem der Nachbarhäuser zu klingeln und
dort um Hilfe zu bitten. Eine Übung, die mir schon zu Hause in meiner eigenen
Sprache und am helllichten Tag nicht leicht gefallen wäre, geschweige denn hier
im Ausland und mitten in der Nacht in einer Fremdsprache.
    Während ich
immer mehr in Verzweiflung versank, hörte ich auf einmal Motorengeräusch. Ein
selbst im Dunkeln klapprig aussehender Wagen war in die Straße eingebogen und
näherte sich jetzt mit Vollgas meinem Standort. Mein Herz begann wieder, heftig
zu klopfen. Der Wagen bog mit einem gewagten Schwung in die Einfahrt direkt
neben dem Haus. Nervös erhob ich mich von meinem Behelfssitz.
    Dann jedoch
erstarrte ich mitten in der Bewegung zur Salzsäule und starrte den Jungen, der
sich aus dem Auto schälte, mit offenem Mund an. Er war etwa 1,80 groß und
schlank und wand sich mit einer Anmut aus seinem kleinen Gefährt, um die ihn
jeder Tänzer beneidet hätte. Seine helle Haut war übersät mit zarten, goldenen
Sommersprossen. Hinzu kam ein Schwall kurzgeschnittener, kupfergoldener Locken,
die sein ebenmäßiges Gesicht umrahmten. Und als ob das noch nicht genug gewesen
wäre, hatte er die grünsten Augen, denen ich jemals begegnet war – selbst hier,
im schwachen Schein der schummerigen Straßenlaternen, schienen sie regelrecht
zu leuchten. Keine Frage - alles an ihm signalisierte Gefahr. Wer so schön war,
konnte nicht echt sein. Ich sollte einen weiten Bogen um ihn machen. Mit
Menschen wie ihm hatte ich nichts als schlechte Erfahrungen gemacht.
    Dann jedoch
sagte er etwas, was Flucht leider unmöglich machte. „Clarissa? Y’okay?“
    „Häh?“ Ich
blinzelte mühsam. ‚Sag was!’, hämmerte es in meinem Kopf. Nur was? Ich fühlte
mich, als wäre mein gesamtes Denkvermögen bei seinem Anblick auf
Nimmerwiedersehen verschwunden wie bei einem Kaninchen vor der Schlange.
Außerdem schien mein Gegenüber die gleiche unverständliche Sprache zu sprechen
wie alle Schotten, denen ich im Verlauf des heutigen Tages schon begegnet war,
auch wenn es sich bei ihm sehr melodisch anhörte. Wahrscheinlich hatte man mich
irregeführt, und in Schottland sprach man immer noch Gälisch. Das mit dem
Englisch war nur eine Touristenfalle.
    „Are – you –
okay?“
    Oh. Doch keine
Falle. Die bekannten Töne weckten den kleinen Rest Vernunft, der wider Erwarten
doch noch irgendwo in den Tiefen meines Gehirns vorhanden war, und auf einmal
fand ich auch meine Sprache wieder. Zumindest ansatzweise. „ Yes – äh - thanks – äh - are you - Mr Low?“  Der Name meines
Vermieters war mir gerade noch rechtzeitig wieder eingefallen.
    Die Lippen
meines Gegenübers verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen, und er verdrehte
die Augen. Immerhin ließ er sich zu einer Antwort herab und gab sich sogar die
Mühe, halbwegs langsam und deutlich zu sprechen. „Ich bin Mike. - Der Sohn“,
fügte er offensichtlich genervt hinzu, als er meinen verständnislosen Blick
sah. Dann sprang er mit einem eleganten Schwung über die kleine Hecke, die die
Einfahrt säumte, und stand unvermittelt vor mir.
    Ich spürte, wie
mir die Hitze ins Gesicht stieg. Na super, da hatte ich ihm ja gleich
unmissverständlich klar gemacht, mit was für einer minderbemittelten
Persönlichkeit er es hier zu tun bekam.
    Wie er mir
schließlich unverkennbar vorwurfsvoll mitteilte, hatte er den ganzen Tag auf
mich gewartet und war schließlich „fast verhungert“ weggefahren, um etwas zu
essen zu besorgen. Er schien zwar nicht gerade untröstlich, dass ich dadurch
hatte warten müssen, entschuldigte sich aber immerhin für seine Abwesenheit,
auch wenn es eher höflich als ehrlich klang. Aber da ich es nicht gewöhnt war,
dass sich überhaupt irgendjemand bei mir für irgendetwas entschuldigte, und
schon gar nicht jemand, der so attraktiv war, war das einfach zu viel für mein
angeschlagenes Nervenkostüm. Schwach und mit äußerst wackeligen Beinen folgte ich
ihm ins Haus, nachdem er

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