Hinter der Nacht (German Edition)
sprang er ungeduldig
auf. „Und? Fertig? Können wir gehen?“
„Nein“,
entgegnete ich abwehrend. „Ich brauch noch Hosen.“
„Wieso Hosen?“
Sein Blick war fragend auf mich gerichtet.
„Ich hab hier
nur Röcke!“, erklärte ich ungeduldig, denn langsam wurden meine Füße kalt.
„Ja und? Du bist
doch ein Mädchen!“
„Was?“ Mein
Gehirn weigerte sich, zu verstehen, was er gesagt hatte.
Aber leider ließ
Mike keinen Raum für Zweifel. „Ist doch ganz einfach. Jungen - Hosen. Mädchen -
Röcke. Und jetzt mach mal voran. Ich hab heute auch noch was anderes vor!“
Ohne ein Wort
riss ich den Vorhang wieder zu. Dann sank ich kraftlos auf den Hocker in der
Kabine. Röcke! Ich sollte ein ganzes Jahr lang jeden Tag in aller
Öffentlichkeit Röcke tragen! Das war die Höchststrafe. Hätte ich das
gewusst, hätte mich kein Philipp der Welt hierher kriegen können.
Auch jetzt sah
mich das Mädchen im weißen Hemd und kurzen dunkelblauen Faltenrock vorwurfsvoll
und gleichzeitig verzweifelt aus dem Spiegel an. Und dabei hatte ich noch nicht
einmal die rot-gelb gestreifte Krawatte umgebunden, die ebenfalls zur Uniform gehörte.
„Clarissa, bist
du endlich fertig? Wir müssen los!“ Mikes Stimme klang genervt wie immer. Was
hatte ich ihm eigentlich getan, dass er mich so wenig leiden konnte?
Ich warf noch
einen letzten hilflosen Blick in den Spiegel, dann drehte mich um, schnappte
meinen Rucksack und ging zur Tür. So musste sich ein zum Tode Verurteilter auf
seinem letzten Gang fühlen.
Mike fuhr uns im
Auto, dem schon etwas klapprigen rostroten Fiat Panda seines Vaters, zur
Schule. Sein Fahrstil war eine Katastrophe. Er machte einem Rennfahrer jede
Ehre, und schon nach kurzer Zeit war ich einem Nervenzusammenbruch nahe, weil
er wie ein Verrückter um die Kurven raste und dabei kaum auf die Straße
schaute, sondern lieber an seinem Radio herumfummelte, in dem jedoch sowieso nichts
Vernünftiges zu finden war. Ein Gutes hatte sein Kamikazestil allerdings – er
schaffte es vorübergehend sogar, mich von meiner Nervosität abzulenken, die
mich ansonsten sicherlich schon längst hätte zusammenbrechen lassen. Allerdings
hielt diese Wirkung nur so lange an, bis er plötzlich übertrieben dramatisch
vor sich wies und verkündete: „So, da sind wir. Deine neue Schule, Clarissa!“
Die Inverness
Highschool lag malerisch auf einem Hügel etwas oberhalb der Innenstadt, wie
eine mittelalterliche Burg. Da endete aber auch schon die Ähnlichkeit. Das
Gebäude selbst war zwar riesig, aber ansonsten ziemlich hässlich. Fast genau so
ein quadratisch-praktisch-nicht-so-guter Kasten wie der, in dem ich die
bisherigen Jahre meines tristen Schülerdaseins gefristet hatte. Ich war
enttäuscht. Irgendwie hatte ich hier in Schottland wenigstens so etwas wie
Hogwarts erwartet.
Doch mir blieb
keine Zeit, meinen Eindruck zu vertiefen, denn jetzt bog Mike mit quietschenden
Reifen von der Straße in die Einfahrt zum Schulparkplatz ab und steuerte dann
in unverändertem Tempo die nächste freie Parklücke an, wo er so plötzlich auf
die Bremse trat, dass diese empört aufkreischte und ich ruckartig nach vorne in
den Sicherheitsgurt knallte. Mir entfuhr ein Stöhnen.
„Oh, sorry !“
Mikes Grinsen strafte seine Worte Lügen. In Wahrheit schien er stolz auf sein
halsbrecherisches Parkmanöver zu sein. „Hast du dir irgendwas getan?“
Blöder Heuchler.
Am liebsten hätte ich vor Wut losgeheult. Nur mit äußerster Not konnte ich die
Tränen zurückhalten. Stattdessen schüttelte ich stumm den Kopf. Sprechen konnte
ich nicht, weil mein Herz gegen meine Rippen hämmerte.
Erst, nachdem
Mike den Wagen verlassen hatte, ohne mich weiter zu beachten, und ich sah, wie
er draußen lautstark begrüßt wurde, löste ich mit zitternden Fingern den
Sicherheitsgurt. Dann zerrte ich am Riemen meines Rucksacks, der bei dem
rasanten Manöver von meinen Knien auf den Boden gerutscht war. Das blöde Teil
bewegte sich keinen Zentimeter. Ich zog mit aller Kraft, doch offensichtlich
hatte er sich irgendwo verhakt. Auch das noch. Dieser erste Schultag fing
wirklich total besch…en an. Innerlich Mike, Inverness, Schottland, Schulen im
allgemeinen und im besonderen und vor allem meine Mutter und ihren unmöglichen
Männergeschmack, der mir das alles hier letztendlich ja überhaupt nur
eingebrockt hatte, verfluchend, ging ich auf Tauchstation – in einem Fiat Panda
kein leichtes Unterfangen, selbst wenn man so klein ist wie ich. Während
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