Hinter der Nacht (German Edition)
dran, was in meinem Fall eigentlich
lächerlich ist. Aber da ich gezwungen bin, mich nach ihren Regeln zu
richten, wenn ich nicht auffallen will, kann ich mich nur in normalem Tempo
fortbewegen. Als ich auf den Parkplatz einbiege, ist schon ziemlich was los.
Überall stehen meine Mitschüler in ihren bescheuerten Uniformen herum und
bringen sich nach den Sommerferien auf den neuesten Stand, was Klatsch und
Tratsch betrifft. Dafürhaben sie immer Interesse. Achtlos fahre ich an
ihnen vorbei, ohne groß die Geschwindigkeit zu reduzieren, während ich mit
einem Auge nach einer geeigneten Parklücke Ausschau halte und mit dem anderen
die Umgebung auf mögliche Eindringlinge, die nicht hierher gehören, scanne.
Auch, wenn ich nicht wirklich glaube, dass mir jemand auf der Spur ist, kann
ein wenig Vorsicht doch nichts schaden.
Plötzlich nehme
ich aus dem Augenwinkel eine rasche Bewegung wahr. Ich reiße den Kopf herum -
und sehe schwarz. Erst auf den zweiten Blick wird mir klar, dass sich dieses
Schwarz auf einem Kopf befindet, der wiederum zu einem schmächtigen Mädchen
gehört – und dieses Mädchen ist gerade im Begriff, mir direkt vor die Maschine
zu laufen.
Instinktiv
drücke ich auf die Hupe und reiße dann an der Bremse, die daraufhin
ohrenbetäubend quietscht. Nicht, dass das etwas nützt. Ich bin einfach zu
schnell. Der Aufprall reißt mir den Lenker aus den Händen und wirft mich mitsamt
Maschine um. Ich knalle seitlich auf den Asphalt und kann förmlich spüren, wie
die Blutgefäße unter meiner Haut platzen. Das wird einen verdammt großen blauen
Fleck geben. Nachdem ich mich mühsam wieder aufgerappelt habe, gilt mein
Interesse zunächst einmal meinem Motorrad. Es ist das einzige
Fortbewegungsmittel, das mir hier etwas nützt. Fluchend zerre ich am Lenker und
schaffe es mit Mühe und Not, es hoch zu wuchten.
Erst, als es
steht – und zu meiner Erleichterung zumindest äußerlich unversehrt aussieht –
fällt mein Blick auf das, was halb darunter gelegen hat. Und es dauert noch mal
einige Sekunden, bis mir klar wird, dass dieser blutige Haufen das
schwarzhaarige Mädchen ist. Dann allerdings brauche ich keineweitere
Sekunde, bis ich weiß, dass es sie voll erwischt hat. Ich meine, so richtig
erwischt. Dass sie das nicht hat überleben können, sieht jeder. Dafür
muss man kein Experte in Sachen Mensch sein.
Scheiße.
Scheiße, Scheiße , Scheisse !
Ich spüre, wie mir die Beine weich werden. Nicht, dass mich ein Mensch mehr
oder weniger besonders stört. Meinetwegen könnten sie alle abkratzen. Was mich
jedoch extrem stört, sind die Schreie. Alles um mich herum schreit. Es ist ein
riesiger, misstönender, gellender, zum Himmel schreiender Aufruhr. Und
mir ist klar, dass meine mühsam aufgebaute und bewahrte Unsichtbarkeit damit
auf einen Schlag unwiderruflich verloren ist. Nach demhierwird
mich mit Sicherheit keiner an dieser Schule je wieder aus den Augen lassen. Ich
habe nur eine Wahl.
Ohne den Aufruhr
um mich herum zu beachten, schiebe ich meine Maschine rückwärts von der
Unglücksstelle weg, wobei ich den Blick auf die verrenkt und regungslos am
Boden Liegende tunlichst vermeide. Als ich genügend Abstand habe, wende ich das
Motorrad. Dann schwinge ich mein Bein darüber. Ein kollektiver Schrei der
Empörung ertönt, als den Zuschauern klar wird, was ich vorhabe. Obwohl sie
natürlich in Wirklichkeit keine Ahnung haben, was ich vorhabe. Bevor sie
mich daran hindern können, trete ich mit aller Kraft den Starter durch. Dann
gebe ich Vollgas und fahre davon.
Während der Lärm
hinter mir verstummt, wächst in mir eine unbändige Wut. Idiotische,
egoistische, unerträglicheMenschen! Machen sich überall breit und tun
so, als ob die ganze Welt nur ihnen gehört! Und um sie herum bleibt nichts von
ihrem zerstörerischen Einfluss verschont. Ich muss verrückt gewesen sein, zu
ihnen zu gehen und zu glauben, dass ich davor bewahrt bliebe. Und jetzt haben
sie – hat eine von ihnen - mich dazu gezwungen, genau das zu tun, was
ich um keinen Preis tun will. Wozu nur jemand wie ich in der Lage ist. Genauso
gut könnte ich gleich ein großes Schild aufstellen. Hallo, hier bin ich! Okay,vielleicht– wenn ich ganz viel Glück hätte - würden sie nichts von meinem Manöver bemerken. Aber allzu optimistisch bin ich da nicht.
Sie bemerkten eigentlich alles, wenn es um jemanden wie mich geht. Und vom
Glück war ich noch nie gesegnet. Seit meiner Geburt nicht. Auch wenn ich das
wiederum erst vor kurzem
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