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Hinterhalt

Titel: Hinterhalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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die Rennbahn und zockte gern, war Stammkunde einer Videothek und treuer Abonnent diverser Segelsport-Magazine. Selbst der Abschied von seinem Namen war dem Einfaltspinsel schwer gefallen. Statt Ross Wilson nun Ray Wilkes. Hätte der Typ Kontakt mit seiner Familie aufgenommen oder sich vor der Schule seiner Kinder herumgedrückt, Stolle hätte es nicht überrascht.
    Oder die jugendlichen Ausreißer, fast immer Mädchen. Sie waren am leichtesten aufzuspüren, es sei denn, sie waren ermordet und in den Busch verfrachtet worden. Stolles Auftraggeber in diesen Fällen waren zumeist exklusive Internate oder die Väter, zahlungskräftige Manager, die nicht die Polizei ins Spiel bringen wollten. Zuerst setzte Stolle auf die Befragung von Freundinnen und Angehörigen. War das Mädchen weder heimlich beim Freund, noch auf einer längeren, von einer Erbtante finanzierten Reise, weitete er seine Nachforschungen auf Bahnhöfe, besetzte Häuser, stadtbekannte Schlupflöcher und das Leichenschauhaus aus. Trat er auch dort auf der Stelle, blieb nur noch das Rotlichtviertel St. Kilda und Kings Cross. In Begleitung des Vaters hatte er einmal versucht, eine Fünfzehnjährige aus einem Bordell zu zerren. Die Zuhälter wussten dies jedoch mit Äxten und Fleischermessern zu verhindern. Das Mädchen war voll gepumpt mit Drogen und HIV-positiv. Eine Woche später tauchte er dort mit dem Vater nochmals auf, um den Laden abzufackeln. Mehr konnte Stolle für das arme Schwein nicht tun. Und das Mädchen? Inzwischen gestorben, vermutete Stolle.
    Da lukrative Aufträge rar waren und die Einnahmen zu schnell in die Taschen der Buchmacher flossen, verdingte sich Stolle auch als Zustellungsbeauftragter und Schuldeneintreiber. Nicht selten arbeitete er vierzehn Stunden am Tag, sechs bis sieben Tage die Woche. Sein Auto war sein mobiles Büro, ständig das Handy am Ohr, sprach er mit seinen Angestellten und Spitzeln oder hörte den Anrufbeantworter ab. Unzählige Male am Tag zückte er seinen Ausweis, eine Lizenz als Privatdetektiv, ausgestellt vom Bundesstaat Victoria. Er war zwar kein Bulle, aber die meisten hielten ihn dafür.
    Zugegeben, es war zwanghaft, aber es gab ihm das Gefühl, den Kontakt zur Straße nicht zu verlieren, die Kontrolle über den Informationsfluss zu behalten und zumindest zeitweilig nicht dem Drang ausgesetzt zu sein, alles, was er hatte, den Launen der Karten oder Würfel zu überlassen.
    Gegenüber der Konkurrenz hatte Stolle einen unschätzbaren Vorteil. Ein Sergeant, Mitarbeiter des staatlichen Zeugenschutzprogramms, war einer seiner Saufkumpane. Von diesem Kumpel hatte Stolle eine Menge gelernt, denn der Sergeant liebte es, über seine Tätigkeit zu sprechen. War man in diesem Zeugenschutzprogramm, hatte man nicht nur Anspruch auf Personenschutz, sondern auch auf ein neues Zuhause, eine neue Identität. Schauspielerisch Begabte waren da natürlich im Vorteil. Sie verstanden es, ihr Aussehen, ihre Gestik und Mimik, ihre Sprache dem neuen Ort, dem neuen Namen, dem neuen Job und ihrer neuen Lebensgeschichte anzupassen; eine Lebensgeschichte, gestützt auf aussagefähige Unterlagen wie Pass, Konto, Zeugnisse, Geburts- und Heiratsurkunden, Mitgliedsausweise, Chipkarten der Krankenkasse, Steuernummer, Führerschein. Selbst Fotoalbum, Briefe und Weihnachtsgrüße fehlten nicht in dieser Sammlung. Eines Tages präsentierte der Sergeant eine Akte aus diesem Zeugenschutzprogramm. Stolle war nicht interessiert an der Akte, ihn interessierte die Genese einer neuen Identität. Verstand man den Ablauf, konnte man die Handlungsweise von Menschen nicht nur vorausberechnen, man konnte ihre Vorhaben sogar vereiteln oder enttarnen.
    Zu den aussichtslosen Fällen gehörte die Gruppe derer, die vollständig mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen hatten. Es war, als existierten sie nicht mehr. Sie hatten niemanden, wollten niemanden, sie hatten sich von ihrem Ego verabschiedet und wollten nie wieder gesehen werden. Solche Menschen hinterließen keine Spuren und endeten im Armengrab. Sie liefen vor dem Leben davon oder vor einem unendlichen Schmerz. Das waren die tragischen Helden.
    Und es gab Wyatt, der aber war eine Klasse für sich.

    SECHS

    Wyatt erreichte Melbourne gegen neun Uhr abends und stellte den gestohlenen Kingswood auf dem Parkplatz an der Spencer Street Station ab. In der Bahnhofshalle warben diverse Plakate für Unterkünfte. Er rief irgendwo an und hatte um halb zehn ein Zimmer im Abbey, einem Hotel für Rucksacktouristen an

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