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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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geworden, dabei hatte ich doch nur vor, nach einem geeigneten Geschenk für meinen Meister zu suchen.
     Er gehört zu jenen Menschen, die man mit einem Mitbringsel aus einem fernen Land gegen sich aufbringen kann. Einen Souvenirteller
     mit dem nostalgischen Abbild der Karlsbrücke würde er auf meinem Kopf in tausend Scherben zerschlagen.
    Der Regen hat mir jede Absicht weggewischt, doch davor, im strömenden Regen und inmitten der Arbeiter und Angestellten, die
     auf den Bürgersteigen um Stehplätze und Gehstreifen rangelten, nahm ich mir vor, einen weißen Regenschirm zu kaufen: Weiß
     war eine Absicht, es war die Farbe der reinen Absicht, ein schönes Signal. Die Verkäuferin im Kaufhaus riet mir davon ab,
     sie sprach Deutsch, alle sprechen sie hier Deutsch, sie sagte, weiß paßte eher zu einer Frau, und ein Mann hätte sich an gedeckte
     Farben zu halten. Ich kaufte weiß. Draußen ging ich um zwei Ecken und stand mit dem aufgespannten neuen Schirm an der dritten
     Ecke, da trat ein Mann unter den Schirm, der mit einem dünnen Zweig immer wieder in eine schmutzige Lache gedroschen hatte.
     Er stand dicht bei mir wie ein Liebhaber mit der festen Absicht, den Geliebten neckisch in den Arm zu zwicken. Ich wich zurück,
     er trat heran. Ich ging zwei Schritte auf Abstand, er sprang unter den weißen Schirm. Dann aber hatte er plötzlich einen kleinen
     verbogenen Schraubenzieher in der Hand, mit dem er in meinen neuen Regenschirm von unten einstach, bis er von zwei Passanten
     weggezerrt wurde. Aneschka mußte mich in jenem Moment gesehen haben, in dem mein vor Wut hochrot angelaufener Kopf unter dem
     zerfetzten verschmutzten Schirmstoff wie eine kleine Sonne schien – dabei hatte ich wohl auf die Schaulustigen in deftigen
     deutschen Worten eingeredet, sie aber starrten mich nur seelenruhig an.
    Für Aneschka sah ich aus wie der Angehörige einer Splittergruppe, der versucht, die unterkühlten Umstehenden anzufeuern. Sie
     nahm mich bei der Hand, zog mich aus dem Haufen heraus, und dann legte sie beide Hände auf mein Gesicht, um mir den Kopf zu
     kühlen, den kaputten Regenschirm warf ich in den Rinnstein, ich setzte mich in Bewegung, sie hielt mit mir Schritt, ihre Hände
     auf meinen Wangen. Die Hausfassaden zerliefen in Rostschlieren, unter einem Himmel schwand eine Stadt dahin, und Aneschkas
     Absätze, dieich festgeklopft hatte, lösten sich wieder, weil wir durch große Pfützen schritten, es war fast unmöglich, den Arbeitern
     und Angestellten auszuweichen. Eine graubraune Pfütze vereinigte sich mit einer ölig braunen Lache, im Wasser der Straßen
     spiegelten sich die Anzüge, die Daunenjacken, die Schalkragenpullover, die Wetterparkas, die Lederblousons, die durchnäßten
     Trenchcoats, die Pulloverblousons, die Föntollen, die Halb- und Vollglatzen, die Pagenköpfe, und die freilaufenden Hunde und
     die Hunde an der Leine. Ich erinnerte mich wieder an meinen Meister, nein, an das Mitbringsel, nein, an seine ein Dreivierteljahr
     alte Jack-Russell-Hündin, die an alten vermufften Schnürsenkeln oder an Röhrenknochen kaute – bei diesem Wetter wollte ich
     kein Souvenir kaufen, ich wollte an die Hündin denken.
    Als wir an einem Hotel vorbeikamen, bat ich Aneschka, im Foyer kurz auf mich zu warten, ich flitzte auf die Gästetoilette,
     auf einem Messingschild bat die Hotelleitung, die Urinalspülung mit dem Fuß zu bedienen. Ich schlug mir Wasser ins Gesicht,
     behauchte aus alter Gewohnheit den Spiegel und rieb den Kondensfilm wieder weg.
    Träumt sie von mir? Oder gibt sie auf sich acht und verschließt ihre Augen vor den fremden Splittern, dem Staubkorn, den Partikeln,
     die einen Nebel bilden in kurzen Träumen. Wenn man nicht aufpaßt. Wenn die Splitter im Traum stecken. Wenn Licht und Dunkel
     vergehen – wird man da verdreht? Bin ich ein verdrehter Mann, vor der Schusterei, vor dem kleinen Ganoventum gab es für mich
     eine nicht häßliche, eine fast schöne Welt, ein nicht häßliches, ein fast schönes Leben. Und in diesem damaligen Leben wurde
     mein Körper verdreht, wurde mein Sinn verdreht: Ich wollte doch nur meine Füße beschäftigen. In den Städten, in den Mitten
     der Städte, in den Fußgängerzonen, die manchmal von einem Kaufpalast an einem Ende zum Kaufpalast zum anderen schnurgerade
     verlaufen, am Rande des Menschenstroms: Dort stand ichoder saß ich lange, und ich verbrachte Tage Wochen Monate damit, endlich herauszufinden, was ich da eigentlich tat. Ein

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