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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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und Nägel schluckte, sie hatte also ihrer Mutter ebensolche Geschenke aus Deutschland,
     aus Berlin, mitgebracht: Teure Pralinen, haltbar bis zum Herbst des darauffolgenden Jahres, und Ansichtskarten, billig im
     halben Dutzend erstanden. Ihre Mutter hatte die Pralinen ihrem neuen Mann weitergeschenkt, das war in Ordnung, es ging ja
     um die Geste. Für Aneschka bestand das Leben aus Geklimper oder Melodie, denn sie dachte nicht in Worten oder in Bildern,
     sie nahm alles wahr in Noten, in Tönen, in schönen oder unerträglichen Gesängen. Ferdas Stimme gefiel ihr, es war die Stimme
     eines Mannes, der nur kurz im Stimmbruch gewesen war und danach einfache Wörter sprechen konnte. Ihre Mutter rief jeden Morgen
     früh bei ihr an und hinterließ auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht, nein falsch, sie sprach auf das Gerät, nach dem Piepton
     mußte sie sich räuspern, um dann eine Ermunterungslosung zu sprechen. Eine Ermunterung ging folgendermaßen:
    Hallo, du bist bestimmt noch nicht wach, es ist ja erst Viertel vor sechs, du weißt, ich stelle den Wecker auf sieben Uhr,
     aber heute … na ja, heute kam es anders. Hattest du einen schönen Schlaf? Ich hoffe es. Also, ich glaube, du kannst dichauf den heutigen Tag freuen, ich habe noch nicht dein Horoskop gelesen, aber da wird auch nichts anderes drinstehen als …
     als Glück. Vielleicht findest du heute eine Mütze oder Münzen auf der Straße. Du weißt ja, ich sage immer, man muß, wenn man
     etwas gefunden hat, abwägen, ob man wirklich der ehrliche Finder sein will oder nicht. Manchmal bin ich doch zum Fundbüro
     gegangen, aber ich habe noch nie … noch nie in meinem Leben Finderlohn kassiert. Eine Mütze oder Münzen darf man schon behalten.
     So, gleich ist meine Sprechzeit um, aber noch eins: Komm mich doch mal wieder besuchen, ich mache dir dann einen Ingwertee,
     den du so gerne … Piep.
    In einer anderen Ermunterung hatte sie Aneschka vor Träumern gewarnt, das waren Männer, die sich nicht wirklich von Liebeshändeln
     beeindrucken ließen, sie entschärften die Frauen, und sie wußten nicht, daß man eine Eieruhr im Uhrzeigersinn aufzog und erst
     dann einstellte, damit sie nach drei oder vier oder ihretwegen auch fünf Minuten klingelte. Ferda machte träumend Schusterei,
     er reparierte seine Träume, und wenn ihm etwas zu weit ging, rief er diesen komischen Satz aus: Jetzt ist aber die Wurst warm!
     Oder er sagte: Das Möhrchen ist gelutscht!
    Sie standen gleichzeitig auf, steinschwer waren sie geworden, müde vom nutzlosen Tag, und unterwegs zum Hotel sahen sie einen
     Fotografen, der mit seiner alten Hasselblad Sechs-mal-sechs-Zentimeter-Bilder schoß, sie wußten es beide, sie hatten auf Menschen
     auf quadratischen Fotos gestarrt, auf Fotos in fremden Alben. Der Fotograf hatte eine Hose, die an den Knien ausgebeult war,
     wahrscheinlich ist das ein ehrgeiziger Tscheche, dachte Ferda, wahrscheinlich ist das ein noch nicht ausstudierter Student,
     dachte Aneschka – er hielt die Kamera auf Parkbänke, von denen das Regenwasser tropfte. Und später sollte was geschehen? Später
     würden sie am Ende eines Liebesstreits im Bett liegen und sich nicht rühren. Draußen roch es nach verbranntem Holz, und der Wind trug den Geruch durch das offene Fenster hinein.

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    Die Dame Vlasta war nüchtern, heute nacht wachte das Närrchen Finna nicht über ihr Herdfeuer. Sie hatte sich den anderen Zwergen
     angeschlossen, sie pflockten Holunderzweige in die Erdhügel, um die Maulwürfe zu vertreiben. Manchmal dachte sie darüber nach,
     über die engen Gänge unter der Erde, sie fragte sich, ob die Gnömchen Tunnel bauten und in einer Nachtstunde, da sie besinnungslos
     auf dem Sofa lag, noch in ihrem Kleid aus grobem Stoff, durch den Boden durchbrachen. Sie schwand ja so dahin. Sie lebte heute
     ohne Kraft dahin.
    Und dann klingelte das Mobiltelefon, das ihr der Komponist geschenkt hatte, sie ließ es lange klingeln, der Anrufer legte
     auf und rief wieder an, sie nahm ab in der Hoffnung, bald wieder zur Stille zurückkehren zu dürfen.
    Ich will wissen, wie es dir geht, sagte er, ich bin im Waldhaus, sagte sie. Sie sprachen eine kurze Weile, dann war das Gespräch
     zu Ende. Danach aber hielt sie es allein nicht mehr aus, also bestellte sie ein Taxi, und als sie auf der Schnellstraße aus
     dem Seitenfenster schaute, sah sie die hell erleuchteten Kaufpaläste in der Peripherie der Stadt, und wenn es wieder dunkel
     wurde, legte sich ein

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