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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Marmeladekochen, das alles roch nach billigen scharfen Pfefferminzbonbons,
     die man lutschte, um den geschwollenen Rachen zu betäuben. Aber sie, die hexende Dagmar, behielt diese Gedanken für sich,
     sie schaute viel später auf die Lammkeule, auf das Fleisch am Knochen, sie rührte das Essen nicht an, obwohl Cora sie mehrmals
     darum bat., wofür man sich schämen mußte. Sie saßen in der Razzia in Budapest, und weil Dagmar weder Likör noch Schnaps trinken wollte,
     argwöhnte der Tresenmann, daß ihre Chefin das nonnenhafte Weibchen zum Bemuttern hergebracht hatte. Sie bemutterte gerne jene
     Frauen, über die getuschelt wurde, die in diesem kleinen Viertel plötzlich auftauchten und von denen die jungen Mütter behaupteten,
     es wären Berliner Originale. Diese Fremde starrte auf die regelmäßig blinkende Kontrolleuchte des Rauchmelders an der Decke,
     er hielt sie nicht wirklich für eine böse Hexe.
    Ich beabsichtige, mich in einen bestimmten Mann zu verlieben, sagte Cora, er arbeitet jetzt als Staplerfahrer, er hat mir
     von seiner Arbeit erzählt, daher weiß ich es: Es sind Doppeldeck-Flachpaletten, oben, unten und an den Seiten vertäfelt, die
     Künstler, fast alle, die ich kenne, schwören auf billiges Material. Billig ist aber Pfusch und Fiasko …
    Nichts sagen, wenn man nichts zu sagen hat, dachte Dagmar, sie stand auf und brachte den Teller weg, vom Geruch des Lammfleisches
     wurde ihr übel, und als sie Cora wieder gegenübersaß, legte sie vor Verlegenheit die Hände auf die Tischkante. Da aber griff
     Cora nach ihrer Tasche, holte kleine Gegenstände hervor und stellte sie auf den Tisch, sie bat sie, ihre Hand in die ihre
     zu legen, dann führte sie die Sandblattfeile an jedem Finger vom Rand zur Mitte des Nagels und ging mit der Polierfeile nach.
     Sie ließ es zu.
    Sie dachte nach: über den Palettenkünstler, einen Mann, der große Gegenstände auftürmte in der Hoffnung auf die Sympathie
     der Frauen. Über die Wirtin, die jetzt leicht auf eine fingerkuppenbreite Tube drückte, sie schaute verträumt auf den Cremetropfen
     an der Spitze der Tubenpipette und verstrich die Salbe auf ihre rissige Nagelhaut – es schien der Wirtin nichts auszumachen,
     daß die Gäste herübersahen, und da erzählte Dagmar ihr das Märchen von dem Händler auf Reisen, der nach vielen Jahren nach
     Hause zurückkehrt, seineFrau ist Mutter eines sechsjährigen Kindes und behauptet, sie sei, weil sie einen Ruf vernommen habe, nach draußen geeilt,
     sie habe Durst und Hunger gleichzeitig verspürt und wie blind nach unten gegriffen, um mehrere Handvoll Schnee zu essen –
     davon sei sie schwanger geworden. Der Mann bricht bald zu einer Handelsreise auf und verschenkt das Kind an die Kesselflicker,
     er kommt zurück und sagt seiner Frau, das arme Kind sei unter der Sonne geschmolzen, und er habe aber sein Trinkbalg mit der
     Hälfte des Schneewassers aus der Kindspfütze füllen können. Sie soll das Wasser trinken oder aber ihren Mund damit ausspülen
     und in den Bach vor dem Haus spucken, denn dann würde bestimmt in weniger als einem Jahr dem klaren Bachwasser ein Kind entsteigen.
     Er warte auf dies Wunder, und wenn das Wunder nicht geschehe, wisse er, daß sie damals der Teufel ins Freie gelockt habe,
     um ihn höchstpersönlich zu treffen. Die Frau verabredet sich mit ihrem Liebhaber am Bach, der Händler ist ihr heimlich nachgeschlichen,
     er schlägt sie beide tot und wirft ihre Körper ins Wasser. Nach knapp einem Jahr entsteigen dem Bach zwei kleine Kinder, ein
     Mädchen und ein Junge, sie zittern am ganzen Leibe, der Händler führt sie zum Kamin, und da aber schmelzen sie dahin, der
     Händler verliert beim Anblick der Pfützen den Verstand und zieht für den Rest seines Lebens als Bettelmönch durchs Land …
     (Das Märchen ist an dieser Stelle nicht zu Ende, auch wenn die hexende Dagmar jäh verstummt. Der Bettelmönch hält sich nicht
     an das Gebot der Keuschheit und schwängert im Laufe weniger Jahre viele barmherzige Frauen, vornehmlich Witwen. Eine Witwe,
     deren Mann bei einem Raufhändel erschlagen wurde, nimmt den Wanderer auf, und der Mönch wandelt sich zurück zum Händler. Natürlich
     fallen ihm, bei dem ersten Liebesspiel, die seltsamen Weihbilder in der Schlafkammer auf: Sie hängen an Schnüren von der Decke
     herab, es sind sogenannte Gebärmutterkröten, in Wachs gegossene Votive, und weil sieimmerzu sachte pendeln und seine Verrücktheit in seinen Träumen anstacheln,

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