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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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möchte er sie abhängen. Die unfruchtbare Witwe
     stimmt unter einer Bedingung zu: Er solle ihr, er solle ihnen, ein schönes Kind holen, nicht älter als sechs Jahre, am besten
     etwas jünger, dann würde sie die Wachskröten eigenhändig verbrennen. Der Händler reist zum Bach und wartet dort so lange,
     bis dem Wasser ein Mädchen entsteigt. Die Witwe umsorgt und liebt es über die Maßen, das Mädchen liebt die Witwe und erkennt
     aber den ehemaligen Händler und Mönch nicht als seinen Vater an … Das Märchen könnte weiter- und weitergehen. Doch Dagmar
     verstummt, sie möchte die Gerüchte über ihre vermeintlichen Hexenkünste nicht durch die Erwähnung von Gebärmutterkröten anfachen.
     Sie unterschlägt auch ein gräßliches Detail: Der Witwe fallen die Bisse in den Wachsvotiven auf, sie schickt den Händler weg,
     auch weil sie um ihr Leben fürchtet.)
    Cora sagte: Man müßte eine Schneefrau sein – Sie verstanden sich nicht, das wurde Dagmar in dem Moment bewußt, als ihr Blick
     auf die Gardinen am türlosen Eingang zur Toilette fiel, sie wurden von zerschlissenen Stoffhaltern gerafft, eine Pomponborte
     war an die Vorderkanten genäht, unechte Winterjasminzweige mit Blüten, an Bambusstäben unterhalb der Decke festgezwickt, rankten
     sich herab. Sie stand auf und ging durch diesen Durchlaß, die Seidenblüten streiften ihre Wangen, dann spritzte sie sich lauwarmes
     Wasser ins Gesicht: Sollte sie so tun, als hätte sie die Macht, durch Hexerei die Speisen zu verwürzen? Sie hatte nichts gegessen,
     sie hatte nichts getrunken, sie war dieser Frau nichts schuldig, und also ging sie ein zweites Mal durch den Durchlaß, rupfte
     heimlich eine Blüte und sagte ihr, sie müßte sich auf den Weg machen.
    Es mochte sein, daß man einander wiedersah, doch so bald würde sie dieses Lokal nicht aufsuchen, und als sie weiterzog, dachte
     sie über Coras Worte nach, wieso glaubte sie an diesen Unsinn, daß es viel mehr Glück verhieß, wenn manals Schneefrau wie ein Schneemann zur Pfütze vertropfte? Es ging in mancher Frauen Leben zu wie im Märchen, man sagte märchenhaft
     und meinte ungewöhnlich oder sehr unpassend, man glaubte, in einem Viertel zu wohnen, in dem es Beteiligte und Statisten gab,
     helle Gassen und dunkle Straßen, Tage der Selbstbefeuerung und Nächte des Verdrusses, und man war überrascht, wenn sich ein
     Hochgefühl einstellte: im Frisierstuhl, beim ersten Schluck heißen Ingwertees, beim Anblick einer Pomponborte.
     
    Die hexende Dagmar empfand keine große Freude, als sie in ihre Wohnung im Stockwerk über einer Bäckerei eintrat, sie schlüpfte
     aus ihrem langen schwarzen Mantel, legte ihre schwarze Perücke über den gesichtslosen Styroporkopf, holte die Schabsteine
     aus den Plastiktüten heraus und stellte sie zurück auf die Kommode: Über die flachen Seiten jeder Tonscheibe zogen sich winzige
     Kerben, ein marokkanischer Berber hatte ihr erklärt, daß man mit dem spitzen Ende eines Hölzchens in den feuchten Ton hineinstach;
     man schabte an der Haut und rieb sich den Schmutz ab. Beim Anblick der Steine empfand sie Glück, deshalb schlüpfte sie in
     Römerpantoletten und strich durch die Zimmer; an keiner Balkontür und an keinem Fenster hing ein schwerer Vorhang. Tüll und
     Leinen. Keine Schabracken, keine Schleifen, keine Raffhalter. Sie setzte sich mitten auf den Wohnzimmerboden und massierte
     ihre Fußballen, und als es an ihrer Haustür klingelte, sprang sie mit einem Satz auf und ließ ihn eintreten.
    Das Obst des Sohnhändlers, so nannte sie ihn, oder auch nur kurz Obst, und sie wußte, daß der Sohn Mladens, des Obst- und
     Gemüseverkäufers, diese ihre Neckerei alles andere als amüsant fand, vielleicht würde er sich unwirscher verhalten, wenn er
     nicht in sie verliebt wäre. Er nannte sie: Goldbraut. Er sprach von sich als dem Blechbräutigam. Obst sagte: Hier bin ich.
     Ist das ein Rätsel, oder verrätst du es mir?Wieso gehst du nicht ohne die Perücke aus dem Haus? Du könntest dir die Haare auch schwarz färben … Will ich nicht, sagte
     sie … Hält die Perücke deinen Kopf warm? Dafür gibt es Mützen … Und sie erzählte ihm, daß ihr eine barmherzige Wirtin bei
     einem Teller Lamm die Nägel poliert hatte, und er glaubte ihr wie so oft kein Wort, er war fünfzehn Jahre und zweieinhalb
     Monate jünger als sie, und deshalb verwirrte sie ihn immer mit einer sonderbaren Geschichte, auf die ein flüchtiger Kuß auf
     den Mund folgte, und dann sagte

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