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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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sie einen einzigen Satz: Ich würde gerne Beeren im Waldschatten pflücken. Oder: Schenk mir
     doch endlich eine Mädchenbluse mit Rüschen. Obst kam ihr zuvor und erzählte von den zwei miteinander balgenden Windhunden
     vor dem Geschäft seines Vaters, die schlanken halbierten Hunde hätten dabei vor Wut geheult, er war versucht gewesen, sie
     mit leichten Stockhieben zu trennen, und dann aber erkannte er: Halb und halb addiert sich gern, also lief er auf und davon,
     er lief zu ihr, es betrübte ihn nicht der Gedanke, daß ihm sein Vater die Ohren langziehen würde, weil er sich unerlaubt entfernt
     hatte, er war zu ihr gelaufen, um zu sagen: Unsere Liebe ist ein ganzer Hund, er fletscht nicht die Zähne, wenn ihn halbe
     Tiere auf der Straße anknurren, der ganze Hund wird nicht angeleint, also beschnüffelt er fast alles, aber nicht jedes Hosenbein,
     aber nicht jeden Strauch. Aber nicht jede zermatschte Mandarine auf dem Bürgersteig …
    Sie verstanden sich gut, er brachte Winterfrüchte mit, zu jedem Wiedersehen in dieser Jahreszeit, und nachdem sie über das
     Wichtige und Unwichtige gesprochen hatten, schälte er zwei Orangen, zupfte die Haut ab und legte die Schnitze auf den Basthocker
     vor der am Boden sitzenden Dagmar. Sie aß alle Schnitze, er sah ihr dabei zu. Sie liebten sich, sie küßte ihn öfter, als sie
     es sonst tat. Er kleidete sich an, sie schlüpfte in einen weißen Bademantel und begleitete ihn zur Tür, und nach einem flüchtigen
     Kuß schloß sie auf, Mladen stand, vonihnen aus gesehen, auf der unteren zweitletzten Stufe, und daß er Obst herbeinickte, anstatt ihm einen barschen Befehl zuzurufen,
     war kein gutes Zeichen. Erst einige Zeit später, nicht vor den Augen der sonderbaren Frau, würde er seinen kleinen Finger
     in das rechte Ohr seines Sohnes stecken – eine Sicherheitsmaßnahme, um ihn zu arretieren –, und er würde das kroatische Donnerwetter
     ausmalen, das dem Sohn beim nächsten Anfall von Verrücktheit blühte.
    Hexerei hielt Mladen für den Aberglauben empfindsamer Männer, junger Männer, denen mehrmals am Tag das Blut aus der Nase tropfte,
     man brauchte sie nur böse anzublicken, und schon bekamen sie Nasenbluten, von diesen Männern gab es viele in diesem Viertel.
     Seinem Sohn mußte er nur das Ohr zupfropfen, und schon floß das Wasser aus seinen Träumeraugen ab, und er konnte wieder Herumtreiber
     von Kunden unterscheiden. Er hatte ein Verhältnis … nein falsch, er war verliebt in eine Frau, die eine Perücke aufsetzte,
     bevor sie das Haus verließ. Gut. Diese Frau sah aus wie eine Frau, verhielt sich wie eine Frau, es ging über sie jedoch das
     Gerücht, sie könnte einmal in die Hände klatschen, und eine Fliegenwolke zöge in die befohlene Richtung. Zwei Male klatschen:
     Die Milch verrahmte. Zwinkern: Die Korken flogen aus den Weinflaschen. Blinzeln: Wadenkrämpfe im Schlaf. Mit dem Zeigefinger
     eine Null in die Luft malen und in deren Mitte den Finger stoßen: Die Dochte trennten sich, wie unsichtbar abgeschnitten,
     von den Kerzen und bildeten in Hüfthöhe eine leuchtende Krone. Einmal schnipsen: Man zauberte einem Mann mit einem kräftigen
     Bartwuchs wieder einen Flaum an die Wangen. In schneller Folge schnipsen: Eine Frau mußte sich plötzlich zwischen Wohlbehagen
     und Vereisung entscheiden …
    Das alles war aber Unsinn, Klugheit machte einsilbig, und diese … Zauberkräftige, die an seinem Stand so tat, als würde sie
     seine Orangen und Mandarinen prüfen und wiegen,hinterließ Nagelkerben an den Schalen. Und blieb stumm. Sie wünschte ihm weder einen guten Morgen noch gute Geschäfte. Unheil
     hatte sie ihm auch nicht herbeigehext. Die Schneeflocken und die Regentropfen und die Hagelkörner – man konnte Mladen nicht
     einreden, daß sie Wetter machte und Wetterumschwünge bewirkte, weil sie mit einem blechernen Kamm durch das gefärbte Roßhaar
     ihrer Perücke strich.
    Sie schaute ihnen nach, am Fenster, es fiel kein Schnee in diesem Augenblick, der Vollmond weichte die milden Egoisten des
     Viertels auf, besonders die jüngeren Männer, sie trugen dunkle Kleidung und mußten, da die Unruhe sie verwirrte, da die Verwirrung
     sie frösteln ließ … sie mußten aufpassen. Plötzlich tauchte dieser fiebrige Mann auf, der Mann, der in der Bahn neben dem
     Herumtreiber gesessen hatte, er blickte hoch, ihre Blicke trafen sich, sie wich zurück, sie hüllte sich voller Angst in eine
     Decke ein. Sie erkannte in ihm einen halben Windhund,

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