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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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sie mußten sich auf Kennrufe einigen, um jede unbeabsichtigte
     Unziemlichkeit zu vermeiden: Morgens würde die Witwe ›Jetzt‹ oder ›Wir kommen‹ rufen, Herr Sobolewski drehte sich auf den
     Bauch, zöge die Decke über den Kopf und schlösse vorsichtshalber auch die Augen; nach dem Ruf ›Sie dürfen‹ oder ›Zeit für
     die Morgentoilette‹ könnte der Mann im Haus, in die Decke eingewickelt, zum Bad rennen und ›Los, meine Damen‹ oder ›Der Herr
     hat sich zurückgezogen‹ rufen – überhaupt wäre jeder … Austritt immer zu verkünden, sie duldete es grundsätzlich nicht, daß
     man die Hände am Spülbecken wusch, nach der Dusche mit tropfenden Haaren am Frühstückstisch saß und sie, die Witwe, schon
     am Tagesbeginn über Gebühr beanspruchte. Und außerdem müßten sie über seinen Lohn sprechen.
    Die Dame Vlasta stieß sie von der Seite an, und nach einem Blick auf den braunäugigen Deutschen sagte die Witwe, ob es dem
     Herrn Schnitzer etwas ausmachen würde, wenn sie einen zweiten Gast im Flur unterbrachte, nein, das wäre wunderbar, die soeben
     von ihr verkündeten Regeln gälten natürlich auch für den zweiten Mann im Hause, ihre Freundin könnte sie ihm bitte übersetzen
     … Ferda lauschte der Zwergendame, wieder einmal hatte er sich in einer fremden Stadt verirrt, wieder einmal fand man ihn und
     brachte ihn in Sicherheit, er konnte noch so viele Schauplätze auf dem Stadtplan ankreuzen, er wurde am Ende an andere Orte
     geführt von Männern, die von der unsterblichen unbenutzbaren Seele sprachen, die ihn seltsame Regeln und Gebote lehrten: Schone
     dich und iß Fleisch. Wende den Blick ab, wenn eine Frau mit der Zungenspitze die Klappe eines Briefumschlags befeuchtet. Sei
     vorsichtig beim Ablecken der Messerklinge, die Spitze kann sich versehentlich in den Gaumen bohren – er stapfte durch den
     Matsch des Ostens, und jeder zweite Pole sagte ihm: Wir verpassen nicht die Erleuchtung, diesmal nicht, diesmal könnenwir die Schuld nicht auf andere abwälzen, wenn wir seelenschwarz werden.
    Im Westen, in Berlin, waren Halbverrückte auf ihn aufmerksam geworden, der Wilde hatte ihm das Mondschein-Leporello bei der
     Hotelrezeption hinterlegt, es steckte in einem braunen Kuvert, darauf standen die Worte ›Liebe die Frau wie dein eigenes Haar‹.
     Er lebte, und es war keine Schande, manchmal die Liebe einfach zu vergessen. Die Dame – sie berührte ihn leicht am Arm, ja,
     er würde sich selbstverständlich an die Hausregeln halten, die Luft, die ihm im Schlaf durch die Nase schnarrend entwich,
     würde den freundlichen Mongolen bestimmt nicht wecken.
    Kaum hatte sie seine Einverständniserklärung für die Witwe und Sobolewski übersetzt, starrte ihn dieser von der Seite an,
     er wollte wissen, ob es in seiner Ahnenreihe einen … nun ja, Tataren gegeben hätte, die leichte Schrägstellung der Augen wäre
     Ismael sofort aufgefallen, und alle Welt würde über die Frage rätseln, in welche entlegenen Gebiete die wilde Horde eigentlich
     eingedrungen wäre, er würde ein diskretes Schweigen verstehen und es richtig zu deuten versuchen. Ferda wandte sich an die
     Dame Vlasta: Sagen Sie ihm bitte, daß es keinen in meiner Familie gibt, der sich für Ahnenforschung interessiert. Meine Mutter
     erzählt mir von Mardern und spitznäsigen Igeln, mein Vater sammelt alte Pfeifenhalter, und alle meine Onkel und Tanten grübeln
     jeden Tag über das Horoskop.
    Der Tatar stellte keine weitere Fragen, und die Witwe musterte ihre Gäste, sie bot also einer halbbekannten Freundin und zwei
     wildfremden Männern ohne Referenzen Unterkunft, sie würde in den nächsten Tagen davonschleichen müssen, sie würde behaupten,
     zu einem langen Spaziergang aufzubrechen, sie kam sich wie ein junges Mädchen vor, das Lügen erfindet, um zum heimlichen Treffen
     mit seinem Liebhaber zu eilen – Edison, der Troll: Er hielt es nicht lange aus und suchtesie regelmäßig auf. Jacek: Ein Wirrkopf, ein Schwindler und Täuscher, ein Einschmeichler – sie empfand für ihn mehr als für
     jeden anderen Mann auf dieser Welt.

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    Ich war in Posen, in Warschau, und jetzt bin ich hier in Krakau, sagte Daniel Heister, ich war untergebracht in einer ehemaligen
     Dienstbotenkammer des königlichen Schlosses, ich mußte das Zimmer mit dem Pförtnergesellen teilen – ja, das gab es, den Meister
     und den Gesellen der Pförtnerloge, sie baten jeden Besucher barsch, sich auszuweisen, sie setzten jeden

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