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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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einen entwässernden Kräutertee, bis die Abmagerung zum Tode führte, dann wurde der Mönch in einer Trockenkammer zur
     Anbetung ausgestellt. Diesen Weg der Selbstmumifizierung wollte auch Libor gehen, so lange, bis sich endlich die richtige
     Frau in ihn verliebte, oder so lange, bis ein Würgeengel an ihn herantrat, am besten auf der Straße vor dem Lokal. Gretás
     Trauer war ansteckend, sie trauerte um die große Sowjetballerina Olga Lepeschinskaja, die viermalige Trägerin des Stalinpreises,
     der Gestrenge Vaterländische Vater hatte sie ›Libelle‹ oder ›Libellchen‹ genannt, und Gretá sprach also auch von der libellengleichen
     Tänzerin und verbot jede abfällige Bemerkung an diesem Abend.
    Lange hielt Ferda es aus, zwei lange Stunden, dann sprach er der Georgierin sein Beileid aus und wünschte dem mumienversessenen
     Libor noch ein langes Leben, lange zögerte er, viel zu lange, bis es ihm reichte, schließlich stand er vor ihr und mußte ihr
     zuerst erklären, daß nicht der Tatar die Dame Vlasta daran hinderte, endlich herzureisen, sie kannte ihn nur vom Hörensagen,
     sie wollte sich deshalb kein Urteil über ihn erlauben – Ferda setzte schon zu einer Rechtfertigungsrede an, schwieg aber dann
     doch.
    Es ist genug, sagte er, und ich habe genug. Er sprach kein weiteres Wort, es war genug. Er küßte ihre glänzenden Lider, Aneschka
     wandte sich nicht ab. Im Garten einer alten Schmiede kauften sie einen Tannenbaum, eine kleine Tanne, aus dem Übertopf ragten
     die unteren Zweige wie befiederte Stecken, sie stellten sie auf den Küchentisch und behängtensie mit kristallflitterbestreuten Styroporkugeln, und welch ein Wunder, daß der Komponist nicht grollte, weil das erste Mal
     seit fünf Jahren ein Weihnachtsbaum im Wohnzimmer seines Hauses stand. Volksluxus, rief er aus und verschwand wieder. Er küßte
     sie am glänzenden Hals und überreichte ihr die Cocktailmerker an der Plastikstange, über das Geschenk freute sie sich so sehr,
     daß sie das schmutzige Geschirr und die ungebügelten Hemden und die ungewässerten Zimmerpflanzen vergaß, und es machte ihr
     auch nichts aus, durch das verschlierte Küchenfenster zu schauen, draußen bellten sich die Vorgartenhunde gegenseitig an –
     keine Menschenseele in der Kälte. Er küßte sie an der Schläfe.
    Einen Tag später fielen ihm all die vielen Tschechen auf, die ins Taschentuch schnieften, aus Übermut ging er das Nachbargrundstück
     ab und wurde aber von einem Dorfwachtmeister auf Streife vertrieben, und als er zurückkam, wurde er Aneschkas Großvater vorgestellt.
     Der unangekündigte Besuch aus Cheb, also aus Eger, sie sprachen Deutsch, während der Unterhaltung trug er seinen Koffer und
     legte seinen Mantel nicht ab, als wollte er sich gleich zurück zum Bahnhof aufmachen. Aneschkas selbstgebackene Plätzchen
     auf einem Silbertablett, der Plätzchenbruch des Großvaters auf einem großen Teller, die kleine Tanne verlor Nadeln, und immer
     wieder wischte er den Tisch sauber. Er blieb bis zum Heiligen Abend, sie umarmte ihn immer häufiger.
    Sie besuchten die Mitternachtsmesse in der Erlöserkirche an der Karlsbrücke, ein Ordensbruder stellte sich vor das Mikrofon
     und bat die Nichtkatholiken, sich am Ende der Messe zurückzuhalten, die Hostien wären nur für die Gläubigen der Kirche bestimmt.
     Dann trat der populäre Priester auf, es war tatsächlich nicht mehr als ein Auftritt – mehr hatte sich Ferda in dieser steinernen
     Gotteshalle nicht versprochen, er stand anderthalb Stunden und sah einen Mann niedergehen,man half ihm auf und setzte ihn auf die Kirchenbank. Der Weihrauchgeruch ließ eine alte Dame und andere Katholiken ohnmächtig
     werden.
    Der Großvater hatte sich geweigert, die Messe zu besuchen, weil er die Mütze bei der Kälte nicht abnehmen mochte, und als
     Aneschka, der Komponist und Ferda Gretás Lokal der trauernden Sowjetgeorgier betraten, klopfte er auf den freien Stuhl neben
     sich und winkte den Freund seiner Enkelin heran. Neunzehnhundertzweiundvierzig, sagte er, ich war elf, da kam ein deutscher
     Kommissar in unsere Schule, er prüfte uns auf Germanisierungstauglichkeit, und er ließ jeden von uns den folgenden Satz aufsagen:
     Hinter dem hohen Gartenzaun stehen hohe Pappeln. Und der nächste Satz lautete: Kleine Kinder können kaum Kirschkerne knacken.
     Ich bestand die Prüfung. Ich tat mich auch in den psychotechnischen Übungen hervor. Zu meinem Verdruß stellten sich merkwürdige
     Zufälle

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