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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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packte die Plastiktüte und verzog sich schnell in den hinteren Saal.
     Dies war eine Geste, die auch der beharrliche Teeknecht verstand, er ließ ab von den Brüdern.) Asul zupfte seine Hose gerade,
     er wollte seine Verlegenheit gerne übergehen, und da ihn aber die Frau über den Brillenrand hinweg ansah, konnte er nicht
     einfach an den Speichelmund der kleinen Wellen denken, es wäre ihr gegenüber sehr unhöflich, es seinem Bruder gleichzutun
     und den Platz zu wechseln. Ich kenne da einen Laden in der Nähe der Süleymaniye-Moschee, sagte sie,dort verkaufen sie Weinessig, Traubenmost und boza … Asul schrieb sich die genaue Adresse auf und dankte ihr, die sie eine
     altmodische Strickjacke trug, und als er den Blick auf den Boden heftete, um sie nicht weiter zu belästigen, sah er ihre nackten
     Fersen, ihre Füße steckten in karmesinroten Lederpantoletten, und über den Spann ihres rechten und linken Fußes zogen sich
     quer dünne lange Abdrücke: Sie schlüpfte wohl immer wieder aus den Schuhen, sie mußten drücken. Da erinnerte er sich und lief
     rot an, sein Vater hatte ihn ermahnt, nicht länger, als es die Schicklichkeitsgesetze vorgaben, auf Frauenhände und Frauenfüße
     und Frauengesichter zu starren, sonst würde man ihn, den frisch beflaumten Achtzehnjährigen, für einen Hügelbarbaren halten.
     Sein Bruder versuchte, ihn auf sich aufmerksam zu machen, er winkte ihm zu, wo er stand, vor der Notausgangstür, war er allen
     Blicken ausgesetzt, und stur, wie er war, würde er trotzdem so lange verharren, bis er die Anspannung nicht mehr ertrug, jäh
     umfiel und zu zucken begann – Asul benutzte seine Daumen als Stöpsel, steckte sie in die Ohren und beugte die Finger. Sie
     hatten sich auf dieses Zeichen geeinigt, in Fällen, da eine Frau an einem der Brüder Interesse zeigen sollte, und tatsächlich
     kam Konga wieder zurück und setzte sich in einigem Abstand auf einen Sitz, dessen roter Plastikbezug Wutparolen in Spiegelschrift
     aufwies. Haben Sie sich gerade die Ohren gereinigt? sagte die Frau, und Asul erklärte ihr, daß er das nie auf einer Fähre
     und in Gegenwart von Städtern tun würde. Da sagte sie: Ich habe zum ersten Mal seit vier Jahren wieder Geburtstag, und ich
     werde erst wieder in vier Jahren meinen Geburtstag feiern können, Sie kennen doch sicherlich das Problem der Männer und Frauen,
     die am neunundzwanzigsten Februar zur Welt gekommen sind, der Februar hat ja sonst achtundzwanzig Tage, aber weil unser Kalender
     nur dreihundertfünfundsechzig Tage kennt, müssen wir ihn korrigieren, also hängen wir im Schaltjahr dem Februar einenTag an … Auf seine Frage, wieviel Tage denn ein Jahr hätte, antwortete sie: Dreihundertfünfundsechzig Komma soundso viele
     Zahlen hinter der Dezimalstelle.
    Asuls Stärke war das Kopfrechnen, und es ärgerte ihn, daß sie ihm die Zahlen hinter dem Komma vorenthielt, er hätte ihr gerne
     demonstrieren wollen, wie sehr er sich auf komplizierte Rechenwege verstand, dafür brauchte er kein Papier und keinen Stift,
     sondern nur das Netz aus strahlenden Linien hinter seinen geschlossenen Lidern, er schloß beim Kopfrechnen erst die Augen,
     fädelte an den stramm gezogenen Fäden die dunklen Zahlen auf, öffnete die Augen und kannte die Lösung. Dieser Frau mit den
     nackten Fersen konnte man aber vielleicht nicht schnell gefallen, und sicher mußte er ihr verheimlichen, daß ihm Kalbspansen
     am besten schmeckten. Er wünschte ihr alles Gute zum Geburtstag, sie spitzte daraufhin erst ihren Mund zu einer Tulpe aus
     zwei Blättern und bemerkte, daß sie in ihrem Alter auf künftige Geburtstage verzichten könnte, und am liebsten hätte Asul,
     der mindestens zehn Jahre jünger war, sie auf der Stelle geküßt, oder wenigstens den Tulpenkelch in ihrem schönen Gesicht
     leicht berührt. Er beugte sich vor, sein Gesäß schwebte kurz in der Luft, und in diesem Moment legte die Fähre an, der Ruck
     ließ Asul nach vorne schnellen, und hätte die Frau nicht soviel Geistesgegenwart bewiesen und ihn an den Schultern festgehalten,
     er wäre ihr entgegengeschleudert worden. So aber saß er sicher, so aber ruhten ihre Hände auf seinen Schultern. Der Teeknecht
     lachte laut auf, sie löste sich von ihm, Konga schaute ihn finster von der Seite an, schließlich hatte ihm die Fahrt mit der
     Fähre nichts eingebracht als die Unlust, so schnell würde er sie nicht niederringen können, es galt, das leere Weckglas zu
     füllen, es galt, die wenigen

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