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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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ihnen. Alles schön und gut, dachte Rüschtü Bej
     noch, als sich ein Mann als ein guter Freund des Schwiegersohns von Herrn Erkan vorstellte, auf Nachfrage bestätigte er, daß
     er ihn kannte, aus der schwierigen Zeit, in der es ihm unmöglich erschien, dem Teufel einen gottvollen Tag abzuluchsen, damals,
     wegen gewisser Vorfälle, konnte er auch nicht mehr Freude am Verzehr von getrockneten Rogen der Meeräsche empfinden, er könnte
     sich vorstellen, wieso man ihn vorgeschickt hätte, es wäre sehr respektvoll, ihm die Briefe nicht mitgebracht zu haben. Denn
     diese Post. Denn diese Post wollte er um keinen Preis annehmen, ginge er recht in der Annahme, daß man ihn, Rüschtü Bej, um
     Hilfe bei der Aufklärung der Wiedergängeraugen bat? (Ein Wiedergänger ist der Geist eines bestatteten toten Körpers, es ist
     die Seele, die sich weigert, bis zum Jüngsten Tag in einem Erdloch oder in einem Felskerker zu verweilen: Sie begehrt zu sehr.
     Früher hat man Gräber mit schweren Steinen beschwert, um die Grabräuber vor einer folgenschweren Begegnung zu bewahren.) Der
     Brückenangler fühlte sich nicht wohl, dieser Freund des Vaters seines Freundes sprach wie jene Frauen, die aus dem Kaffeesatz
     Glücksversprechen lasen, und tatsächlich sah er ihn jetzt auf den schwarzbraunen Bodensatz starren, der sich in Schlieren,
     Höckern und Tupfern über die Innenseite der Mokkatasse verteilt hatte. Aus Schmutzspuren Schicksalszeichen lesen – war das
     nicht unanständig? Seltsam auch, daß Rüschtü Bej sein Auftauchen als gottgegeben und gottgelenkt hinnahm, vielleicht wußte
     er auch, daß niemand in Istanbul wirklich untertauchen konnte, er hatte sich nur mit einem Verkehrspolizisten und einer Waschfrau
     unterhalten, und sie beide hatten genau gewußt, wessen Spuren er folgte, sie raunten ihm zu, daß der alte Herr fremden Frauenden Hof machte, das wäre genauso sinnlos, wie wenn man versuchte, mit einem Gehstock Löcher in den Himmel zu stochern. Jetzt
     aber klaubte Rüschtü Bej Gabel und Löffel aus der Jackettinnentasche, er steckte die Löffelspitze zwischen die Gabelzinken
     und legte die Fingerkuppe unter den Scheitel der Gabellöffelwippe, kein Luftzug, der die Balance störte, kein Angestellter,
     der den Mann aufforderte, die Kinderei doch bitte schön zu unterlassen. Verläßliche Quellen berichten, sprach Rüschtü Bej,
     daß sich zwei große Steine aus dem gefügten Wandwerk lösten und auf zwei Wachleute fielen, für jeden ein Stein, bemerkenswert.
     Es ist außerdem überliefert, daß ein junger Empfindsamer vom Turm hoch droben in die Tiefe stürzte. Ein Toter und zwei Schwerverletzte,
     sie sind in die Geschichtsschreibung eingegangen, sie werden allerdings nur in einer Fußnote erwähnt. Wie schade, daß man
     es nicht für wert befand, ihre Namen zu nennen, sonst hätte ich an ihren verfallenen Gräbern ein Gebet sprechen können … Sehen
     Sie, was passiert ist, es lohnt nicht, auch nur für eine Sekunde, unachtsam zu werden, die kleine Fingerwippe ist auf dem
     Tisch zerbrochen!
    Der Brückenangler hörte einen Kellner am Nebentisch den Geschmack der drei Imperien preisen, das Fleischmenü wäre eine Komposition
     der Rezepte der römischen, andalusischen und der osmanischen Küche, und bevor die einheimischen Touristen aus der Hauptstadt
     ihre Bestellung aufgaben, bevor der Angler verrückt wurde: wegen der vielen versteckten Lampen, deren Licht alle Farben verblassen
     ließ; wegen der unentwegt grinsenden Angestellten, und wegen der viel zu schönen Frau an der Rezeption – bevor er noch verwirrt
     eine kleine Dummheit beging, richtete er sich auf und sagte: Wir müssen gehen, ich bringe Sie zu Ihren Freunden. Rüschtü Bej
     war schnell auf den Beinen, er verhielt kurz am Conciergetresen, kratzte sich an der Nase und griff zum Arm des Anglers,
     der verdutzt zur Schönen hinübersah, weil sie ihn anlächelte,hatte sie ihn im Verdacht, daß er zu den Männern gehörte, die reich waren und sich aber unauffällig kleideten? Er konnte
     nicht das Ende eines Gehstocks spitzen und einen Durchschlupf in den trüben Himmel bohren, das müßte er ihr unbedingt noch
     erklären. Dieser einzige Gedanke beschäftigte ihn auf dem Rückweg, und daß sein Sohn auf der Galatabrücke ihm entgegenlief
     und die kleinen Fische im Eimer zeigte, nahm er wahr: Er schickte ihn nach Hause. Als sie die steile Gasse hochschritten,
     fühlte er sich wie anderthalb Männer, Rüschtü Bej legte sein halbes

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