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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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an Rücken stehen, das könnte sie von ihrem Beutezug
     abbringen … Sie sprach lächelnd jenen Unsinn, von dem sie dachte, es würde reichen, ihn aufzusagen, denn dann hielten wir
     sie für verrückt genug. Sie war auch verrückt genug, daß ich mich wegen ihrer Worte nicht aus der Erstarrung lösen konnte,
     in ihrer Gegenwart kam ich nicht auf den Einfall, zum Himmel hochzuschauen, zum wolkenverschäumten Himmel, der erste Risse
     zeigte, dunkle Bahnen des kommenden Regens. War ich hergekommen, um dem Raunen zu lauschen? Jeder raunte mir ein Gerücht zu,
     das Mütterchen, das zwischen einem Mobiltelefonladen und einem öffentlichen Abort bunte runde Stoffflicken anbot; der Verkäufer
     von Schreckpistolen, dem ich versprechen mußte, nicht die Karriere eines Tankstellenräubers einzuschlagen; die Polizisten,
     die mich wegen meines Bartschattens verwarnten, sie taten es aus Spaß, sie freuten sich über meinen Gesichtsausdruck, als
     sie mir von den Knochenbrüchen erzählten, Männer wie ich zogen sie sich zu, bei dem Versuch, ihre Taschen und Börsen nicht
     den Taschendieben zu überlassen. Hiernach trösteten sie mich, die Verruchten werden siegen, sagten sie, aber wir ziehen einige
     aus dem Verkehr, und das Mütterchen eilte sofort herbei und raunte uns zu, daß um fünf Uhr in der Früh jeder Mann und jede
     Möwe und jede Krähe ungeschützt wäre – einen schönen Klang im Ohr mußte man also teuer erkaufen, soviel hatte ich verstanden.
     Sie alle und auch die ehemalige Frau meines Cousins raunten und wisperten, und ich fiel ihnen ins Wort, da nahmen sie sich
     vor, mit mir schonend umzugehen. Danach aber war sie verschwunden, vielleicht hatte sie auf eine Ablenkung gelauert,ich sah mich um, ich drehte mich einmal im Kreis, und als ich wieder still stand, waren auch das Mütterchen und die Polizisten
     weitergezogen. Von der Peraallee ging eine Seitengasse ab, in die man besser nicht einbog, man hatte mich vor den Zigeunern
     gewarnt, sie wohnten in den Häusern am dunklen Ende der Gasse und stellten sich jedem daherkommenden Mann in den Weg und fingen
     an zu flüstern: Ich lade dich zu mir nach Hause ein, meine Frau hat gekocht, es gibt Reis und Lammfleisch am Spieß, die Flasche
     Anisschnaps werden wir beide gemeinsam austrinken, und dann werde ich meine Tochter ins Zimmer rufen, sie wird vor deinen
     Augen singen und tanzen, und gegen Ende des Abends werde ich ihr erlauben, für eine Viertelstunde auf deinem Schoß zu sitzen.
     Du wirst ihren Rücken streicheln können, du wirst ihren Hals beriechen können, und ein einziger kurzer Kuß sei dir auch erlaubt.
     Doch dafür verlange ich Geld, nur halb soviel, wie du in jedem Vergnügungslokal ausgeben müßtest … Mein Cousin hatte mir aufgetragen,
     auf der Stelle kehrtzumachen, sollte ein solcher Familienvater aus einem Hauseingang heraustreten. Die Einflüsterer, die Töchterverkäufer.
     Bald saß ich in ebendieser Gasse, aber im vorderen Abschnitt, auf einem Basthocker, es fiel mir leicht, nicht über die Schulter
     zu schauen, ein Zigeunervater würde sich hüten, einem trübgesichtigen Mann wie mir in den Rücken zu fallen. Im Abenddämmer
     eilende Passanten und ich voller Erwartung, daß sie nicht anrief, hatte etwas zu bedeuten. Da tauchte sie plötzlich wieder
     auf, aus dem hinteren Teil der Gasse, sie schien erstaunt zu sein, daß mein Herz noch schlug, und ich musterte die Kratzspuren
     an ihren Unterarmen und auf ihrem Handrücken. Ich habe mich heftig gestritten, sagte sie, ich war in einem Süßteigwarengeschäft,
     wie es sich gehört, habe ich mich in die Schlange gestellt, da geht aber dieses feine Mädchen an der Schlange vorbei gleich
     zum Tresen, das lasse ich nie zu, niemals … Wie hatten mein Cousin und diese Frau miteinanderauskommen können, so viele Jahre in einer viel zu kleinen Wohnung, wie hatten sie ihren Haß überlebt? Und weil sie mich fragte,
     erzählte ich ihr von meinem Schusterleben, von Wind und Wetter, von gut schmeckendem Rindfleisch, von den Durchsagen der Schaffner
     in überfüllten Zügen, und von jener Frau in meinem Leben, die mich vielleicht nicht anrufen würde. Sie warf mir einen Blick
     zu, und ich verspürte den Wunsch, ihre Beine zu streicheln, ihre nackten Mädchenknie, wie furchtbar, was für eine niederträchtige
     Lust, ich sollte woanders hinschauen, dorthin wo die Saboteure des fließenden Verkehrs und der reibungslosen Geschäfte im
     Menschenstrom standen, die Greise, das

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