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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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rasseln, war es eine
     Krankheit, der nahende Tod, der ihn zur Sanftmut zwang? Nein, die Laune des Augenblicks, ein Spätnachmittag mit über die Regale,
     die Decke und seine Hauspantoffeln wandernden Schatten, er hielt sich in seinem Arbeitszimmer zu Hause auf, er hatte wieder
     einmal Nasenbluten gehabt, nichts Schlimmes, nichts Unwürdiges, nur das Nasenbluten eines Mannes in den Endsechzigern, ihm
     konnte man nicht vorwerfen, nur noch um einen Sitzplatz im Paradies zu ringen, er behielt alle und alles im Blick, ich müßte
     ihm die schnarrende Stimme entschuldigen, er würde das Taschentuch gegen die Nasenlöcher drücken, und nun wäre aber Schluß
     mit umständlichen Eröffnungsworten. Der Herr Händler nahm hinter seiner Registrierkasse Platz, ein Auge blieb verdeckt, das
     andere Auge starrte mich unverwandt an, vielleicht fand er es unangebracht, daß ich in seinem Ladentelefonierte, ich machte Anstalten hinauszugehen, doch er schüttelte heftig den Kopf, und ich sah kurz auch in sein anderes
     Auge. Ich bestätigte meinem Onkel, daß ich mich für weitere zwei Tage in Istanbul aufhielt, wahrscheinlich hatte meine Mutter,
     die auch mit Kontaktsperre belegt wurde, ihn darüber informiert. Du wirst anschließend nach Ankara reisen, sagte er, und wir
     werden uns nicht mehr um die alten Geschichten kümmern, du bist das, was du bist, und ich schließe dich in die Arme … Meine
     Frau weigert sich, an dem Treffen teilzunehmen, nein, kein Treffen, aber eine Zusammenkunft, und deinen Cousins werde ich
     ins Gewissen reden. Nur fürchte ich, daß ihre Mutter sie vor die Wahl stellen wird, und meine Söhne werden ihrem Donnerwetter
     nichts entgegenzusetzen haben. Ein Neuanfang, ist es auch in deinem Sinne? … Im weiteren Verlauf des Gesprächs eröffnete er
     mir, daß mir aus der Hinterlassenschaft meiner Großmutter ein kleines Gebetbuch zustünde, er würde ein Sippentreffen in die
     Wege leiten, er würde das Büchlein vor allen Augen aushändigen wollen … Ich bedankte mich, er legte auf. War das ein Fortschritt,
     daß ich auf anderer Menschen Einfluß setzte, um voranzukommen? Der Händler stand wieder vor mir, er war sichtlich verärgert
     über meine Weigerung, mich als einen Empfindsamen auszugeben, und ich sagte: Sie wollen mich einladen? Ich gehe gerne mit.

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    Hatte man sich nicht darauf verständigt, nach vielen schlaflosen Nächten, daß es keine Falter und keine Bienen und keine Hummeln
     waren, aber Brandlöcher im Nerz der Nacht? Dies Gewand war wie über einen Kleiderbügel gestülpt worden, es hing steif und
     ohne zu flattern in der Luft, und durch die ausgebrannten Löcher starrten Augen hinein. Licht über Licht in ihrem Viertel.
     Und nun, vor den anderen Männern, trautesich Rüschtü Bej, seinen Irrtum zuzugeben, sie alle wählten doch rechts, weil ihnen das Gottvertrauen noch nicht abhanden
     gekommen war, es gäbe auch Umstürzler im Namen des Allmächtigen, doch von ihnen wollte er nichts wissen, er verwies nur auf
     die Macht, die stärker war als die Narreteien des abgefallenen Engels – um es kurz zu machen, wieso zitterten sie, weshalb
     ängstigten sie die Brandlöcher, die Schlitze und Risse in der Dunkelheit tünchte man nicht über, man kittete sie nicht mit
     ihrer aller Angstschweiß – er hätte sich geirrt, er wohnte aber nun so lange am Ufer des Festlandes, daß er nicht einmal mehr
     von den aufgerissenen Augen träumte.
    Die Herren Händler wanden sich auf ihren Stühlen, sie hatten sich von Rüschtü Bej mehr versprochen als die Reue eines Kartenzinkers,
     der die Fratze des Teufels mit billiger Fassadenfarbe bepinselt, vereint im Schrecken über das Phänomen wollten sie gemeinsam
     aufstehen und die Beine des Stuhls, auf dem Rüschtü Bej saß, brechen, jeder übernimmt ein Stuhlbein, dachte Herr Erkan, und
     dann plumpst sein Hinterteil in den billigen Polyesterhosenstoff auf den Boden, und wir werden es nicht sein, die ihm aufhelfen.
     Sein Unbehagen rührte auch daher, daß der Neu-Istanbuler Altan diesen jungen Mann mitgebracht hatte, sie kannten ihn nicht
     und verzogen den Mund, als er sich als Schuhmacher aus Deutschland auswies, das war ein Tourist zweiter Klasse, vielleicht
     auch nur ein über seine geringen Mittel verschämter Student, dem es gefiel, den Einheimischen dieser Stadt Originalität anzudichten.
     Er saß am Ende des Bogens, den sie, die um des Rätsels Lösung Ringenden, auf Hockern beschrieben, bestimmt wollte er die

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