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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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meines Vaters auf das Bett, ich schlüpfte in die Hose, mußte sie aber wegen des ausgeleierten
     Gummibands an der Hüfte festhalten. Was kam auf mich zu, wenn sie nicht mehr anrief? Ichverlor nicht alles auf einmal, ich verlor in Portionen und Teilbeträgen. Kurz vor dem Einschlafen hörte ich es an der Tür
     klingeln, ich spürte wenig später Belindas Pfote auf meinem herabhängenden Arm, dann schlief ich ein.

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    Der Buchverkäufer hatte entgegen seiner Angewohnheit eine telefonische Absprache getroffen und vier Kisten Bücher blind übernommen,
     und nun, nach einigen Stichproben, warf er vor Zorn eine Handvoll geröstete Kichererbsen in den Mund. Sein Geschäft in der
     unterirdischen Passage im Stadtzentrum von Kizilay galt als Hort der über vierzigjährigen Männer und Frauen, die das Übersinnliche
     voraussetzten und es aber für keine relevante Größe ansahen – also konnte Tansu Bej die Traktate schlecht aus den Kisten packen,
     auszeichnen und in die Regale stellen. Ein Buch trug den Titel: ›Die Vernunft, das Reittier des Herzens‹, ein anderes hieß
     ›Anweisungen für die tulpenpflückende Dame‹, das war ein dicker Band mit zerfasertem Lesebändchen, das Bucheignerzeichen auf
     der Innenseite des Vorderdeckels stellte ein gähnendes Erdmännchen dar – gähnte es oder fletschte es die Zähne, so genau konnte
     man das Zeichen nicht deuten. Tansu Bej entdeckte bei näherem Hinsehen am Kopf des Tieres Hornsprossen und neben den Hinterpfoten
     zwei Gebilde, die aussahen wie spitze Eckzähne, und also verstand er: Man konnte, wenn man anfing zu glauben, vom horntragenden
     Teufelsmenschen zum Erdmännchen sich verwandeln. Wer auch immer dies Exlibris entworfen hatte, er bewies einen Sinn für das
     Ungerade und Krumme, denn nichts und niemand konnte die Höcker zum Verschwinden bringen.
    Fast wäre er über diesen Gedanken froh geworden, doch die Ladentür ging auf, und ein Mann kam herein, der komischerweise sofort
     seinen Blick auf den Band in Tansu BejsHänden heftete, und so schwiegen sie beide und blinzelten, bis der Kunde ihn bat, ihm die Unhöflichkeit, nicht gegrüßt zu
     haben, zu entschuldigen, dann sagte er: Man hat mir einen anderen Laden für gebrauchte Bücher empfohlen, ich war dort und
     empfand den Verkäufer als geschwätzig. Sie haben sich den Ruf erworben, Literatur für Atheisten und Artisten zu führen. Um
     ehrlich zu sein, ich hege keine Sympathie für diese Leute, aber ich habe einem inneren Drang nachgegeben und werde wohl mit
     dem Buch belohnt, in dem sie blättern. Haben Sie schon einen Preis festgesetzt? … Was sollte er ihm antworten? Wenn sich dieser
     Mann einen maßgeschneiderten Zweireiher leisten konnte, verfügte er bestimmt über viel Geld; hinzu kam der versteckte Tadel,
     den er aus seinen Worten herausgehört zu haben glaubte. Er war doch nur ein der Kämpfe und Gespräche überdrüssig gewordener
     Städter, und er wollte zwar weiterhin Unterhalt für seine geschiedene Frau bezahlen und aber wünschte sich, daß … die höhere
     Macht ihn mit der Liebe zu einer jungen Frau belohnte. Er sagte: Das ist ein Ratgeber für Damen, die sich Beistand und Erbauung
     erhoffen. Ich habe das Vorwort des Verfassers kurz überflogen, er meint, daß man morgens Tulpenmarmelade auf geröstetes Brot
     streichen sollte, spätestens beim vierten Bissen würde sich das heilige Aroma im Rachenraum entfalten. Er verspricht, die
     richtige Zubereitung der Marmelade in seinem nächsten Buch verraten zu wollen. Interessant, sagte der Kunde und schaukelte
     kurz auf seinen Schuhsohlen, vor und zurück, vor und zurück – es könnte nicht schaden, eine getrübte Miene zur Schau zu stellen,
     dachte Tansu Bej, im Beginn und im Schlußakt einer Verhandlung muß der Verkäufer seinen Unwillen bekunden, sich von der Ware
     zu trennen. Statt dessen wies er freundlich lächelnd auf das zweite Kapitel hin, das man als allererstes lesen mochte, denn
     darin werde die Dame darüber aufgeklärt, daß Männer mit dicken Ringen an den Fingern große Listen ersannen, um ihre Absichten
     zuverschleiern – die gläubige Dame sollte eine hellgelbe Tulpe zerrupfen, vier Blätter in einem nichtreligiösen Buch trockenpressen
     und von den Haarrissen im spröden Blatt auf den Charakter des Herrn ihres Herzens schließen.
    Herr Tansu schlug den Tulpenband an der richtigen Stelle auf und zeigte dem Kunden die Illustrationen: Ein über das ganze
     Blatt verlaufender dünner Riß

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