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Hinterland

Hinterland

Titel: Hinterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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wurde als kommende Entzweiung gedeutet; zwei im rechten Winkel aufeinander zulaufende Striche
     verhießen in soundso viel Tagen einen schönen Kuß, natürlich nur für den Mann und die Frau, deren Intimität vor Gott legitimiert
     war. Es ist genau das, was ich mir vorgestellt habe, sagte der Kunde, und er legte einen Geldschein auf den Tisch, an dem
     Tansu Bej saß, und sie beide sahen zu, wie sich der mehrfach gefaltete Geldschein leicht auffaltete, ein Luftzug wehte die
     Banknote zur Tischkante, und als er danach griff, vor den Augen des Käufers, als er danach gegriffen hatte, damit sie nicht
     auf den Boden segelte, glaubte der Mann, Tansu Bej ausreichend bezahlt zu haben. Er aber war nicht zufrieden: Der Verfasser
     des frommen Ratgebers tat ihm leid. Die Damen, die auf das Rezept der Tulpenmarmelade in diesem Büchlein verzichten mußten,
     taten ihm leid. Er tat sich schließlich selber leid, weil er heute morgen vor dem gelb besprühten Bankkartenschlitz gestanden
     hatte und nicht laut geworden war – wieso konnte er nicht wie ein anständiger Bürger einen Polizisten ansprechen und ihn auf
     die Sauerei aufmerksam machen?
    Die Türglocke ertönte, und plötzlich stand eine bekopftuchte Frau neben dem Mann, sie starrte auf das Tulpenbuch und sagte:
     Ich bin mir sicher, daß er das Rezept von seiner Mutter hat. Er verschweigt sie als Quelle der Inspiration. Das ist schäbig.
     Davon abgesehen habe ich nichts gegen ihn einzuwenden. Ich habe mir folgenden Satz gemerkt: Wollt ihr alles Kriegsgerät auffahren,
     um euch ein schmales Grundstück freizuschießen? Schön, oder? (Die Männer waren verblüfft,und sie ließen sich ihre Verblüffung nicht anmerken. Ein Zufall ist eine Indiskretion des Schicksals. Tansu Bej hätte auf
     Nachfrage zugegeben, daß seine Bestürzung ob der Zufälle in den letzten Wochen ihn zu Grübeleien verleitet hatte. Die agnostische
     Lehre erklärte das Wenigste. Außerdem wollte er die frommen Schwestern nicht mehr für in Stoff gewickelte dumme Mäuse halten.)
    Der Kunde fragte sie, ob sie ihm das Rezept verraten könnte und ob es ihm gestattet wäre, es sich zu notieren, und so schrieb
     er mit, während sie mit geschlossenen Augen über Zutaten und Zubereitung sprach, man müßte unbedingt Gewürznelken beigeben,
     eine Unterlassung würde sich auf den Geschmack der Marmelade auswirken. Er klappte das Notizbuch zu, steckte es in seine Jackettasche,
     lächelte die junge Frau und Tansu Bej zum Abschied an und verließ das Geschäft. In der Passage strebten rasierte Marxisten
     zu den Buchhandlungen, es fanden sich zwar die wenigsten Bücher auf dem Index, doch konnten diese Menschen sicher sein, daß
     die Verkäufer ihrem Hang für Konspiration großes Verständnis entgegenbrachten – diese Menschen, dachte Bener Bej, was soll
     diese greisenhafte Distanzierung, auch ich war ein Linker, jedenfalls so lange, bis die Studentenführer den Ernstfall ankündigten
     … Sie hatten Wind unter den Achseln, das gestand er mit den Worten seiner Mutter seligen Angedenkens ihnen zu, sie träumten
     doch nur, und in diesem Traum erwuchs eine böse Lust aus der Kapitulation im wirklichen Leben. Er verstand, was sie antrieb,
     und er durfte ruhig wie ein alter Mann denken, denn das, was ihn antrieb, war ihnen verhaßt. Bener Bej folgte einer Eingebung
     und legte den Weg zu seiner Lieblingskonditorei zu Fuß zurück, schon von weitem hörte er ihre Rufe, die Passanten, so sie
     nicht an schweren Einkaufstüten trugen, waren stehengeblieben und schauten in eine Richtung. Doch er ging weiter. Die Meute
     zog, kurze Spruchbänder an Lattenpfählen über den vielenKöpfen, durch den Schwanenpark, der die Prachtstraße der Botschaften mit der Laufmeile der Jungen und Schönen verband – die
     Meute war nicht Gemensch, sie war eine Ansammlung von Wanderschreiern in den falschen Anziehsachen. Wofür traten sie ein?
     Für mehr klimpernde Münzen in der Hosentasche. Verachtung machte sie schön. Und ehe er den bösen Gedanken weiterfolgen konnte,
     wurde er von einem am Rande mitlaufenden Mann angesprochen; ich grüße Sie, Herr Onkel, sagte er, und Bener Bej brachte die
     höfliche Anrede eines Radikalen aus der Fassung, er prallte regelrecht an dem Fremden ab, und das Buch glitt ihm aus der Hand,
     die der Radikale ergriff, küßte und an die Stirn führte. Der Ratgeber für Tulpenmarmeladeliebhaberinnen lag auf dem Stück
     Bürgersteig zwischen ihnen, und als ausgerechnet ein Polizist ihn

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