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Hiobs Brüder

Titel: Hiobs Brüder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Gablé
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Anstalten, unterzugehen. Oswald hatte die Augen zugekniffen und klammerte sich an King Edmunds Arm fest.
    Losian sah zurück.
    Vielleicht hundert Yards hatten sie sich vom Ufer der Isle of Whitholm entfernt. Er betrachtete das trutzige Torhaus, den akkuraten Palisadenzaun, das verwilderte Feld rechts davon, und dann schaute er durch die Bresche ins Innere ihres Gefängnisses. Zum letzten Mal, wie er inständig hoffte.
    Der Ausschnitt des Hofs, den er sehen konnte, war unverändert eine Wüste aus grauem Schlamm. Aber schon vor dem Sturm war dies ein trister Ort gewesen, dessen vorherrschende Farbe Grau und dessen vorherrschende Atmosphäre Trostlosigkeit war.
    Es beschämte ihn, dass er auch nur für die Dauer eines Herzschlages gezögert hatte, ihm den Rücken zu kehren. Auch wenn er die größten Bedenken hatte, wie die Welt dort drüben ihn und seine Gefährten aufnehmen würde, schienen die Ungewissheit, der Hunger und die Abscheulichkeiten, die sie erwarten mochten, das weitaus geringere Übel zu sein. Selbst die Aussicht auf ein feuchtes Grab war das geringere Übel, ging ihm auf. Er atmete tief durch, verschloss die Augen vor dem Anblick der alten Burgruine und spürte den salzigen Wind auf dem Gesicht.
    »Oswald, reiß dich zusammen«, sagte Simon.
    »Mir ist schlecht«, bekam er zur Antwort.
    »Großartig«, knurrte Simon. »Genau das, was uns gefehlt hat …«
    »Mach die Augen auf und schau zum Land hinüber, Oswald, dann wird es besser«, riet Godric.
    Der Junge folgte dem Rat, freilich ohne seinen Klammergriff um Edmunds Arm zu lösen, und allmählich verschwand der gequälte Ausdruck von seinem Gesicht. Mit einem staunenden Lächeln sah er die unbekannte Welt näher kommen.
    Als sie etwa die Hälfte ihrer Fahrt bewältigt hatten, lösten sich zwei Stämme aus der mittleren Lage und trieben nach Norden ab.
    »Simon, lass uns tauschen«, sagte Wulfric ruhig. »Wir werden zu schwer für die Steuerbordseite.«
    Die Zwillinge rutschten auf den Knien nach innen, umrundeten die fünf Passagiere in der Floßmitte und glitten weiter nach links. Simon folgte ihrem Beispiel in entgegengesetzter Richtung. Ein weiterer Stamm löste sich, und als Simon seinen Posten erreichte, tauchte die Seite des Floßes ins Wasser.
    »Verhaltet euch so ruhig wie möglich«, wies Godric sie an. Er klang vollkommen gelassen und nahm seinem Bruder ohne Hast das Paddel aus den Händen. »Es ist nicht mehr weit.«
    Losian blickte zur Festlandküste hinüber. Auf jeden Fall zu weit für diejenigen, die nicht schwimmen können, fuhr es ihm durch den Kopf, aber jetzt war vielleicht nicht der beste Moment, zu fragen, auf wen das zutraf. Er beobachtete die Ruderer abwechselnd, und als er merkte, dass Simon ermüdete, löste er ihn ab.
    Simon protestierte nicht. Er war außer Atem, nickte Losian dankbar zu und machte ihm Platz. Losian merkte sehr bald, welch harte Arbeit es war, ein Floß in Schräglage vorwärtszubewegen.
    Als sich der nächste Stamm löste, bekam das Floß deutlich Schlagseite, und Losian wäre um ein Haar ins Wasser gepurzelt.
    »Noch eine Viertelmeile«, murmelte Simon.
    Gott, gib uns eine Chance, betete Losian, und auch King Edmund begann zu beten. Er faltete die Hände und senkte den Kopf darüber. Oswald und Luke folgten seinem Beispiel und lauschten andächtig seinem lateinischen Gemurmel.
    Losian ruderte, versuchte, jede ruckartige Bewegung zu vermeiden, die das Floß veranlassen könnte, sich weiter aufzulösen, und sah unverwandt zum Ufer hinüber, das jetzt zum Greifen nah schien. »St. Pancras hat keinen Kirchturm mehr«, bemerkte er, und mit erschütternder Plötzlichkeit löste das Floß sich in seine Bestandteile auf.
    Losian sah noch vier weitere Stämme davonschwimmen, und als ihm klar wurde, dass sie die ganze mittlere Lage verloren, fiel er schon ins Wasser. Die eisige Kälte verschlug ihm für einen Moment den Atem. Dann zerriss er die Kordel seines Mantels, der ihn in die Tiefe ziehen wollte, und begann zu schwimmen.
    Die untere und obere Lage des Floßes waren ein Stück auseinandergetrieben, aber noch intakt. Losian klammerte die Rechte um eines der Holzteile, mit der Linken bekam er Oswald gerade noch zu fassen, der in Panik um sich schlug und unterzugehen drohte.
    »Hier!«, brüllte Losian ihm ins Ohr und schob das Floßteil näher auf Oswald zu. »Halt dich fest und verhalte dich ruhig.«
    Oswald schien ihn nicht zu hören. Er warf den Kopf zurück und schrie, bis eine Welle über ihn hinwegrollte

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