Hiobs Brüder
Wasser ist hier nicht eingedrungen!«, rief er nach oben.
»Kein Wunder, so fest, wie diese Falltür saß«, hörte er King Edmund sagen. »Was gibt es dort?«
»Kisten mit Äpfeln. Mehlsäcke, aber die sind nass. Und großer Gott … entschuldige, King Edmund. Aber hier ist ein Schinken! Und der sieht völlig in Ordnung aus!«
»Was ist mit Fässern?«, fragte Regy.
»Jede Menge«, berichtete Simon. »Eins ist angestochen.« Er öffnete den Hahn, beugte sich herab und trank gierig. Als er sich wieder aufrichtete, war ein seliges Lächeln auf seinen Lippen. »Roter Wein aus Lothringen, Monseigneurs!«
Mit dem Schinken in der einen, der Fackel in der anderen Hand kam er wieder zum Vorschein.
»Oh, der Herr sei gepriesen!«, rief King Edmund entzückt aus. »Hab ich euch nicht gesagt, dass er für uns sorgen wird?«
»Nein«, erwiderte Wulfric. »Simon hat es gesagt. Jedenfalls werden wir ein Fest feiern.« Im perfekten Einklang mit seinem Bruder wandte er sich ab, und sie machten sich auf die Suche nach Krügen, Bechern und Tellern.
»Halt!« King Edmund schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Es ist Fastenzeit. Ich fürchte, der Schinken und der Wein …«
Ein vielstimmiges Stöhnen unterbrach ihn. »Hab ein Herz«, bettelte Godric. »Wir haben jahrelang gefastet.«
Edmund wiegte den graubezottelten Kopf hin und her. Dann gab er unerwartet nach. »Ihr habt recht. Ich bin zuversichtlich, dass Gott uns vergibt. Her mit dem Wein, Simon.«
»Oh, wunderbar, ein Besäufnis«, Regy zwinkerte Losian zu. »Wir lassen uns volllaufen, und dann gehen wir auf den Friedhof und pissen auf die Gräber der Mönche, was hältst du davon?«
Losian wandte kopfschüttelnd den Blick ab. »Warum bist du nicht ertrunken, Regy?«, fragte er unwirsch, aber in seinen blaugrünen Augen funkelte Übermut.
Losian erwachte mit einem Brummschädel, und das erste Wort, das ihm in den Sinn kam, war Bristol . Obwohl sein rechter Arm völlig gefühllos war, blieb er reglos liegen, um das Wort und den Gedanken nicht zu verscheuchen. Bristol . Es beschwor eine höchst eigentümliche Mischung aus freudiger Erregung und Hoffnungslosigkeit herauf, aber ehe er das, was er für eine Erinnerung hielt, erhaschen konnte, entzog es sich ihm wie eine Rauchfahne, die der Wind davontreibt.
Er setzte sich auf, rieb sich den Arm, der unangenehm zu kribbeln begann, und schaute sich um. Luke und Oswald lagen nah am Herd zusammengerollt auf dem feuchten Bodenstroh und schliefen. King Edmund, Simon und die Zwillinge waren verschwunden. Und Regy saß mit dem Rücken an den Stützbalken gelehnt, an welchen sie ihn gekettet hatten, und betrachtete Losian mit konzentrierter Miene, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Losian fragte sich, ob Regy überhaupt jemals schlief.
»Was ist Bristol?«
»Was bekomme ich dafür, wenn ich es dir verrate?«, entgegnete Regy.
»Frühstück.«
»Ein Hafenstädtchen im Süden. Es liegt an der Mündung eines großen Flusses. Schiffe bringen Blei und Silber aus Wales und Wolle und Leder aus England von dort auf den Kontinent.«
»Warst du mal dort?«
Regy schüttelte den Kopf. »Ich fand Reisen immer beschwerlich und eintönig und war nie weiter südlich als Suffolk. In York und auf meinen Ländereien hatte ich ja alles, was ich zum Glücklichsein brauchte«, fügte er lächelnd hinzu.
Losian ging nicht darauf ein. Er fand es unbeschreiblich widerwärtig, wenn Regy mit seinen Schandtaten kokettierte, doch er hatte gelernt, es zu ignorieren. »Und weißt du, ob es irgendetwas … Besonderes mit Bristol auf sich hat?«
»Wenn dir Schiffe und Seeleute aus der ganzen Welt nicht besonders genug sind, nein. Das heißt, Bristol hat eine Burg, hörte ich einmal, die als uneinnehmbar gilt. Eine der stärksten Festen in England und Hauptquartier ebenso wie Fluchtburg des berühmten Earl Robert of Gloucester.«
Losian nickte, obwohl dieser Name ihm nichts sagte. Er war bitter enttäuscht.
»Wie kommst du auf Bristol?«, fragte Regy neugierig.
»Keine Ahnung«, erwiderte Losian knapp und stand auf, um dem Thema ein Ende zu bereiten. Während er an den Tisch des Küchenhauses trat, um festzustellen, welche Vorräte sie noch besaßen, fragte er sich, ob er sich in dieser Hafenstadt im Süden einmal einen Rausch angetrunken und am nächsten Morgen mit ebensolch einem Brummschädel wach geworden war. Wie konnte es nur sein, dass der Duft und Geschmack des Weines, den sie am Vorabend in unbescheidenen Mengen getrunken hatten, ihm
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