Hirschgulasch
Oligarchen aus unserer Zeit und die Gazprom-Typen die
reinsten Waisenknaben.«
»Und wer bekäme dann das Geld? Deren Kinder und Enkel?«
»Soweit ich weiß, hatte Hitler keine Nachkommen. Aber ich denke, es
fiele wahrscheinlich an das Bundesland Bayern. Israel erfährt auf jeden Fall
davon, die ehemaligen Alliierten, die Kriegsgegner der Faschisten. Jüdische
Familien in aller Welt werden das zurückverlangen, was ihren Vorfahren von den
Nazis gestohlen wurde. Ebenso die Zwangsarbeiter, die KZ -Überlebenden,
alle Verfolgten des Regimes, das diesen Schatz zusammengeraubt hat.«
Luba bohrt mit der großen Zehe in einer verschlissenen Stelle des
Bettvorlegers herum. Wiktor nimmt anscheinend Wechselduschen. Aus dem
Badezimmer dringt wohliges Stöhnen und gleich darauf grimmiges Schreien im
Wechsel.
»Worauf willst du eigentlich hinaus, Luba?«
Marjana weiß genau, worauf Luba hinauswill. Auf die Frage nämlich,
wem dieser Schatz in Wahrheit gehört. Wer die rechtmäßigen Eigentümer sind. Das
will Luba wissen, weil sie der Gedanke quält, dass dieser Schatz ihnen gar
nicht zusteht.
»Was würde der deutsche Staat denn mit diesem unermesslichen Reichtum
anfangen? Ich meine, das würde doch vieles ändern. Aber ich frage mich, was
genau? Was hätte das für Auswirkungen?« Luba runzelt die Stirn.
»Deutschland wäre auf einen Schlag ein ungeheuer reiches Land.
Selbst wenn es nach jahrelangen Gerichtsverhandlungen einen Teil an die Erben
der rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben würde, bliebe immer noch ein enormes
Vermögen übrig, da viele gar nicht wüssten, dass sie Rechte anmelden können. Es
könnte damit seine Armen, die Obdachlosen, die Arbeitslosen, die
Alleinerziehenden und alle Familien unterstützen. Es könnte seine gesamten
Staatsschulden begleichen.«
»Aber würde es das tun?«, fragt Luba.
»Ich weiß es nicht. Das kommt auf die politischen Entscheidungen an.
Auf jeden Fall würde eine große Gier die Menschen erfassen, alle Menschen. Aber
wie du weißt, scheißt der Teufel immer auf den größten Haufen, und richtig
etwas bekommen würden wohl doch wieder nur die, die sowieso schon reichlich
haben.«
»Müsste dann die ganze Welt wieder Angst vor Deutschland haben?«,
fragt Luba.
»Wer kann das wissen?«
»Man könnte mit dem Geld auch den Hunger auf der Welt bekämpfen.«
»Das könnte man«, sagt Marjana, »dazu bräuchte man allerdings den
Schatz gar nicht. Es gibt genügend Getreide, Früchte, Wasser auf der Welt.
Niemand müsste hungern. Bei der Verteilung dieser Güter geht es bisher nur
leider alles andere als gerecht zu.«
»Aber dürfen wir den Reichtum jetzt, wo wir ihn gesehen haben, dort
schlummern lassen? Verstehst du, was ich meine?«
»Ich verstehe genau, was du meinst, Luba. Und du hast recht. Dieser
Schatz könnte die Welt retten. Er könnte sie aber auch vernichten.«
Marjana wirft Luba ihr T-Shirt und ihre Jeans zu. »Zieh dir was an,
sonst wirst du mir noch krank.«
Luba schlüpft in ihre Kleider.
»Auch wenn wir jetzt nicht auffliegen. Irgendwann wird jemand auf
die Spur des Schatzes kommen«, fährt Marjana fort. »Vielleicht sind die
Menschen bis dahin reifer, klüger, verantwortungsvoller.«
»Glaubst du das wirklich?«
»Keine Ahnung.« Marjana zuckt die Achseln.
»Wie können wir mit dem Geld Gutes tun, nicht nur für uns, für
unsere Familien, für unsere Freunde?«
Aha, denkt Marjana. Daher weht also der Wind.
»Wir könnten damit Projekte in der Zone finanzieren«, beantwortet
Luba ihre Frage selbst. »Wir könnten anfangen, die ganze Gegend zu
dekontaminieren und den radioaktiven Dreck anderswo zu lagern. Wir könnten
dafür sorgen, dass die Menschen in die verlassenen Städte zurückkommen können.
Wir könnten versuchen, die Wirtschaft wiederzubeleben.«
»Das könnten wir vielleicht tun, Luba. Aber wir können es nicht
gleich tun. Erst muss ein bisschen Gras über die Sache gewachsen sein.«
»Wir könnten einen Spender erfinden, der dahintersteckt.«
»Ja, aber jetzt müssen wir erst mal unsere Haut retten.« Wann kommt
endlich dieser Warmduscher Wiktor aus dem Badezimmer, denkt Marjana, und erlöst
mich von Lubas Wohltäter-Phantasien?
Berchtesgaden, 1. Juni 2010
»Was hat denn jetzt Ihre famose KT in
der Maillingerstraße herausgefunden? Die sitzen doch bestimmt schon dran an dem
Notebook, das Sie ihnen gestern nach München geschickt haben?«, fragt Leni
ihren LKA -Kollegen am nächsten Morgen in ihrer
Einsatzzentrale, der
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