Hirschgulasch
Polizeidienststelle Berchtesgaden.
»Bis jetzt gar nichts«, antwortet er.
»Das ist noch weniger als nicht viel«, zieht sie ihn auf.
»Das Ding hat eine Blowfish-Verschlüsselung, Kollegin. Das dauert
ewig, sie zu knacken.«
»Und meistens klappt es gar nicht«, ergänzt Lebow, der im Türrahmen
aufgetaucht ist.
»Was heißt ewig?«, fragt Leni. »Drei Tage, drei Wochen?«
»Eher Monate. Oder Jahre.« Weidinger klingt zerknirscht.
»Das meinen Sie jetzt nicht im Ernst.«
»Doch, absolut.«
»Es gibt kein Programm zur Entschlüsselung. Zumindest ist mir keines
bekannt«, schaltet Lebow sich wieder ein.
»Und wo hat Wladimir so was her? Aus der Ukraine? Vom
Geheimdienst?«, fragt Leni.
»Das ist eine Public Domain. Die können Sie sich auch herunterladen
und auf Ihrem privaten PC verwenden.«
»Aber wie komme ich denn an den Verschlüsselungscode?«
»Du nimmst dir zum Beispiel den Roman, der bei dir nutzlos auf dem
Nachttisch liegt, weil du eh immer nur einschläfst, sobald du ein Buch
aufschlägst. Sagen wir, ›Feuchtgebiete‹ von Charlotte Roche …«
»Hab ich gelesen«, unterbricht Leni ihn.
»Und?«, fragt Weidinger.
»Hat sich fatal auf meinen Schlaf ausgewirkt. Ich hab lauter
ekelhaftes Zeug geträumt.«
»Ja, pass auf, Leni. Du schlägst den Roman auf, sagen wir Seite 53
auf, wählst drei Zeilen aus, und Blowfish macht dir daraus eine Verschlüsselung
deiner gesamten Festplatte. Zum Entschlüsseln musst du wieder genau diese drei
Zeilen eingeben, damit deine Dateien wieder für dich lesbar werden. Verstehst
du?«
»So ungefähr. Haben denn die Techniker im LKA da keine besseren Möglichkeiten?«
Weidinger schüttelt den Kopf. »Da würde ich mir nicht zu viele
Hoffnungen machen.«
Sein Handy klingelt, und Leni bemerkt, dass er nach dem Blick aufs
Display nur widerwillig rangeht.
Der so selbstsicher und oft ein bisschen überheblich wirkende Weidinger
kommt ihr jetzt fast ein bisschen devot vor. Immer wieder hört sie ihn »Ja
natürlich« sagen und sieht ihn mit dem Kopf nicken, fast schon eine Marotte.
Von der Seite beobachtet sie, wie er wieder mit Daumen und Zeigefinger den
Schwung seines grauen Schnauzbarts nachfährt. Das macht er also in
Stresssituationen oder wenn er abgelenkt ist und vergisst, seinen Tick zu
kontrollieren. Sie fragt sich, ob sich dieser Schnauzer so borstig anfühlt wie
die Stehmähne von Ludwig, ihrem Esel.
»Das war mein Chef«, sagt Weidinger, nachdem er aufgelegt hat.
Leni überlegt kurz, ob sie sagen soll: Das hab ich auch schon
gemerkt, hütet aber ihre Zunge.
»Und gibt es was Wichtiges aus München?«, fragt sie.
»Nein, eigentlich nicht, ich muss nur gleich zurückfahren, bloß
vorübergehend natürlich. Wir haben dort wegen eines anderen Falles eine große
Pressekonferenz, und der Chef will unbedingt, dass ich dort antrete. Ich hätte
mich ja gern davor gedrückt, aber …«
»Tja.« Leni zuckt die Achseln. »Wenn’s der Chef anordnet.«
Weidinger überhört die Spitze.
»Morgen spätestens bin ich wieder da. Mein Zimmer im Edelweiß
behalte ich natürlich. Und für Sie bin ich jederzeit erreichbar.«
»Ja mei, da kann man nix machen. Jetzt müssen wir den Fall eben ohne
Sie lösen«, meint Leni.
»Unterstehen Sie sich! Sie sind jetzt zweihundert Jahre bei Bayern
mit Ihrer Dingsbums, Ihrer Fürstpropstei, oder wie auch immer das geheißen
hat.«
»Ja, aber so ganz echte und unkomplizierte Bayern sind wir in dieser
Zeit immer noch nicht geworden. Wir sind halt Eigenbrötler«, sagt Leni.
»Aber Sie werden ja, seit Sie zu Bayern gehören, einmal mitgekriegt
haben, wie Ihre Landeshauptstadt jetzt heißt. In München laufen alle Fäden
zusammen, und dort werden auch alle wichtigen Fälle gelöst. Können wir uns
darauf einigen?«
»Wir Bewohner des Inneren Landkreises im Berchtesgadener Land haben
immer noch unsere Jahrhunderte andauernde Unabhängigkeit im Blut. Gesetz des
Urwalds. Das werden wir so schnell nicht los. Für uns ist es eine sportliche
Herausforderung, schneller als die Münchner zu sein.« Leni sieht Weidinger beim
Räumen seines Interimsschreibtischs zu.
»Das iPhone des Opfers möchte ich mitnehmen, falls wir über die
Daten auf der SIM -Karte nicht weiterkommen. Haben
Sie sich die schon alle runtergezogen? Nicht dass ich Ihnen da noch wertvolles
Ermittlungsmaterial entwende.«
»Keine Angst, wir lassen uns schon nichts entwenden, was wir für
unsere Arbeit brauchen, oder, Meik?«
»Ich habe die SIM -Karte ausgelesen
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