Hirschgulasch
Ihnen
tatsächlich gelingt, dieses Projekt ins Leben zu rufen.«
Beim Hinausgehen ist Marjana von einem Pulk Menschen umringt. Man
fragt sie nach den Verhältnissen in ihrem Land, nach dem Verbleib der
orangefarbenen Revolutionäre, dem Lohnniveau. Wiktor hat sich an ihre Fersen
geheftet. Im Kassenraum zupft er sie am Ärmel ihrer Kostümjacke.
»Sag mal, du hast sie doch nicht mehr alle!«, raunzt er. »Musst du
mit unserem Geld so um dich werfen? Zwanzigtausend Euro, da darfst du dir aber
eine gute Erklärung einfallen lassen, woher du die nehmen willst. Ist dir
eigentlich klar, dass du uns mit deiner Naivität immer tiefer reinreitest?«
»Naiv nennst du mich?« Marjana bleibt stehen. »Nenn mir irgendeine
Summe. Fünfzigtausend, hunderttausend, von mir aus eine Million. Die Million
wäre Prahlerei, das geb ich zu. Aber fünfzigtausend oder eben zwanzigtausend,
Wiktor, das ist Alexejs Anteil am Schatz. Die will ich investieren. Und du
wirst mich nicht davon abbringen.«
Sie verlassen als Letzte das Gebäude. Die Angestellten löschen das
Licht. Es ist jetzt sehr dunkel und der Weg zum Parkplatz schlecht beleuchtet.
Dr. Beltz lädt sie noch auf ein Bier oder ein Glas Wein ein.
Auch der wissenschaftliche Leiter der Dokumentation und seine Frau und ein paar
wissenschaftliche und pädagogische Mitarbeiter sind mit eingeladen. »Umtrunk«
nennt er das. Marjana hat das Wort noch nie gehört. Aber sie hat Durst. Ob es
etwas Originelles sein darf, eine traditionelle bayerische Wirtschaft mit gutem
selbst gebrautem Bier?
Sie fahren in mehreren Autos zum Hofbrauhaus, einem stattlichen
historischen Gebäude in Berchtesgaden. Breite Steinstufen führen zum Eingang
hinauf. Tosend schießt ein vom Fluss abgeleiteter eingefasster Bach an einem
Mühlrad vorbei in ein Kraftwerk auf dem Gelände des Brauhauses und treibt dort
eine Turbine an. Vom Innenhof kann man einen Blick in die verschiedenen Säle
mit ihren Holzmöbeln, den Gewölbe- und Holzdecken werfen. Die Menschen sitzen
an schweren Holztischen, auf denen gläserne Bierkrüge stehen, einen halben oder
ganzen Liter fassend. Auf den Gläsern die drei blauen Buchstaben HBB . Die männlichen Bedienungen tragen Lederhosen bis
zum Knie, weiße, gestrickte Strümpfe und karierte Leinenhemden. Einige kommen
aus Tschechien und Polen, man hört es am Akzent.
Dr. Beltz empfiehlt ihnen den Schweinsbraten mit Semmelknödel
und Kraut oder das Backhenderl mit Erdäpfel-Gurkensalat.
Ob es auch Fisch gebe, möchte Luba wissen. Aber ihr Gastgeber winkt
ab und meint, das würde er eher nicht empfehlen. Die bayerische Küche sei eben
eher deftig und das Meer zu weit weg. In St. Bartholomä, beim
Königsseefischer, ja, da gebe es feine Forellen, Renken, Saiblinge, aber hier
im Bräustüberl würde er doch eher zu Fleisch raten.
Als der Kellner kommt, bestellt Wiktor Hirschgulasch.
»Hirschgulasch?«
»Hirschgulasch.«
»Tut mir leid, der Herr. Hirschgulasch haben wir nicht.«
Enttäuscht entscheidet sich Wiktor schließlich auch für den Schweinebraten.
Als der Kellner die Getränke bringt, steht plötzlich der Koch am
Tisch.
»Wer von euch wollte das Hirschgulasch?«, möchte er wissen.
Marjana zeigt lachend auf Wiktor.
»Magst a Kesslgulasch vom Ochsen? Mit Spätzle und Salat? Des is fei
was ganz Feines. Und mager, ohne Fettzusatz.«
»Ja«, sagt Wiktor, der weiß, was ein Ochse ist.
»Der Mann kennt sich aus«, sagt der Koch. »Ein echter Feinschmecker.
Und wennst im Herbst nomoi kimmst, dann koch ich dir a Hirschgulasch, gell?«
Eine der Mitarbeiterinnen der Dokumentation hat ein Notebook
mitgebracht. Sie gibt Lubas Blog-Adresse ein und zeigt die Seite mit den
Tschernobyl-Bildern herum.
»Ist da auch ein Foto von Alexej dabei?«, fragt sie.
»Nein, von Alexej nicht. Er war schon sehr schwach, als ich ihn kennenlernte«,
sagt Luba. »Aber hier, sehen Sie, das ist Alexejs Hütte. Und die Frau, die
gerade in der Scheune verschwindet, das ist Mila, seine Frau. Ich hoffe, es
geht ihr gut. Sie ist jetzt ganz allein da.«
Wiktor beobachtet interessiert, wie viel Bier die Männer an den
Tischen ringsherum trinken. Sie winken dem Kellner mit dem leeren Glas, und
schon steht ein neues auf dem Tisch.
Dr. Beltz verabschiedet sich bald nach dem Essen, andere
schließen sich an. In die allgemeine Auflösung hinein fällt Marjana ein, dass
sie jetzt noch tanzen gehen möchte. Zur Entspannung. Werner Felbermeyer, Kustos
in der Dokumentation, bietet sich an, die drei in eine
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