Hirschgulasch
die
Tanzfläche.
»Du Herzensbrecher hast uns ja gar nicht gesagt, dass du tanzen
kannst wie ein junger Gott«, ruft Marjana. »Gut, dass der Typ gekommen ist. Ich
dachte schon, wir hätten dich an diese blonde Rennrodlerin verloren.«
»Wieso Rennrodlerin?«
»Hast du ihre Oberarme und Schenkel nicht gesehen? Aber klar, du
hattest deine Augen ja woanders. Ich dachte schon, du ziehst sie auf der
Tanzfläche noch aus. Alle haben wir auf dieses Stück Haut gestarrt und deine
Finger, die darübergekrabbelt sind wie eine gierige Spinne.«
»Du meinst wohl, du hast darauf gestarrt.
Dabei kannst du aus der Entfernung nicht viel gesehen haben. Und jetzt halt
endlich die Klappe und zeig, was du kannst.«
Sie wirbeln über die Tanzfläche, bis Marjana sich zurück an den Tresen
flüchtet. Als Wiktor nach oben auf die Galerie schaut, ist Magdalena nicht mehr
da.
Als sie um drei Uhr morgens aus dem Lokal torkeln, schlägt ihnen kühle
Nachtluft entgegen.
»Sind wir hier in der Wüste?«, lallt Marjana.
»Nein, im Gebirge.« Wiktor dreht sich einmal um die eigene Achse.
Sein Blick wandert an den dunklen Hängen der Berge hinauf in den klaren
Sternenhimmel. »Milky way«, murmelt er.
»Hä?«, fragt Marjana, die Mühe hat, sich auf den Beinen zu halten.
»Die Milchstraße, du Schnapsdrossel. In Kiew bekommst du die nie zu
sehen. Drei Millionen Menschen machen zu viel Licht, und ihre Autos produzieren
zu viel Smog.«
»Ist mir noch nie aufgefallen.«
»Eben. Nachts, in der Zone, siehst du sie über dir wie die Schaltkreise
einer riesigen Leiterplatte.«
»Ich glaub, mir wird schlecht.« Marjana lehnt sich an die Holzwand
der Diskothek.
Die Tür geht auf, und Luba kommt, eingehüllt in eine Wolke hämmernder
Beats, aus dem Lokal. Hinter ihr tritt ein junger Mann in Trekkingschuhen aus
der Tür und stabilisiert seinen schwankenden Oberkörper durch einen Griff an
den Türrahmen.
»Ey«, schreit er. »Don’t go!« Breitbeinig
steht er im Licht der offenen Tür, der Oberkörper in einer langsamen
Drehbewegung pendelnd.
»Wie ein Leuchtturmwärter«, sagt Wiktor.
»Ein besoffener«, nuschelt Marjana.
Luba dreht sich um und geht auf ihn zu. »What do
you want?«
»Want fucking?«, lallt der Mann.
»Fuck off!« Luba dreht sich weg. »Ich
suche mir meine Männer selbst aus.«
Er greift nach ihr, bleibt mit der Hand in ihren Haaren hängen und
zerrt daran. Blitzschnell dreht Luba sich um und rammt ihm das Knie in den
Schritt. Der bullige Mann knickt in der Mitte ein und drückt beide Hände auf
das akute Schmerzzentrum.
Zu spät, denkt Wiktor. Luba holt aus und rammt ihren Ellbogen in das
Gesicht des Mannes. Sein Stöhnen setzt Wiktor in Bewegung. Er springt zu Luba
und hält sie mit beiden Armen fest.
»Bist du verrückt geworden? Was hat er dir denn getan?«
Luba windet sich, bis Wiktor sie in den Schwitzkasten nimmt. Als sie
ihre Gegenwehr aufgibt, spürt er, wie ihr Körper geschüttelt wird. »Mich greift
keiner an. Mir tut keiner weh«, schluchzt sie.
»Lubotschka«, murmelt er. Als er sie loslässt, sinkt sie auf die
Knie. Der Betrunkene hat sich wieder aufgerichtet und schwankt zurück ins
Lokal. Wiktor und Marjana haken Luba unter. Vorne an der Straße hält das
bestellte Taxi.
»Au weh«, sagt der Taxifahrer. »Verträgt da jemand keinen Alkohol?
Was hat sie denn erwischt?«
»Eine Nase und zwei Eier«, sagt Marjana. »Und jetzt nach Unterau, zu
Frau Ilsanker.«
»Bei der Ilsanker Vroni seid ihr? Schöne Ferienwohnungen hat die
Vroni, gell? Seid’s zufrieden mit der Unterkunft?«
»Sind wir zufrieden?«, fragt Marjana Wiktor.
»Ja, wir sind zufrieden.«
Berchtesgaden, 25. Mai 2010
Von Reichenberg tritt vom Lokal aus auf die Terrasse, geht durch die
Tischreihen und findet einen freien Tisch. Es ist heiß. Frauen in leichten
Sommerkleidern und Wanderer-Pärchen in karierten Hemden, Shorts und
Trekkinghosen sitzen unter den bunten Sonnenschirmen auf der Sonnenterrasse am
Obersalzberg.
Die flinken Kellerinnen in ihren Dirndlkleidern schleppen Getränke
heran und Windbeutel in XL -Ausführung, gefüllt
mit Sahne, Obst und Vanilleeis in Familienpackungsgröße. Als von Reichenberg
die Karte zur Hand nimmt, sieht er, dass diese Kreationen nach den umliegenden
Bergen benannt sind, die man hier von der Terrasse aus bestens im Visier hat.
Ein paar Geranientöpfe dazu, und die ganze Szenerie sieht aus wie vom
Postkartenfotografen arrangiert.
Neben den Kuchentellern der Frauen stehen die leeren Biergläser
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