Hirschgulasch
und
Teller der Männer, die man an den eingetrockneten Senfspuren erkennt, die in
der Hitze Risse bekommen haben. Endlich weht ein leichter Wind über die
Terrasse. Im Westen stehen hochgetürmt und wie gestapelt Gewitterwolken, durch
die die Sonne brennt. Die helle Hausmauer reflektiert ihre Strahlen und taucht die
Terrasse in ein grelles, flaches Licht.
Eine junge Frau in weißer Baumwollbluse mit Kordel am Ausschnitt,
blondem Lockenhaar und grünen Augen sitzt am Nebentisch und beobachtet ihn
verstohlen. Von Reichenberg ist es gewöhnt, dass man ihn anstarrt. Es macht ihm
nichts aus. »Es kann nicht jeder schön sein«, sagt er, wenn man ihn darauf
anspricht, was allerdings selten vorkommt. In gebildeteren Kreisen zitiert er
dann schon mal den Wiener Schriftsteller Friedrich Torberg, der gesagt hat:
»Alles, was ein Mann schöner ist als ein Affe, ist Luxus.«
»Einen Cappuccino, bitte«, bestellt seine Nachbarin bei der Kellnerin
im Dirndl. Von Reichenberg ordert ein Bier. »Ein Helles«, wie die Kellnerin
wiederholt, als hätte sie es mit einem Ausländer zu tun. Einen Windbeutel
wollen sie beide auch auf hartnäckiges Nachfragen nicht.
Die Frau am Nebentisch lässt sich von der fabelhaften Aussicht nicht
beeindrucken, sondern kramt ein Taschenbuch aus ihrer Umhängetasche. Von
Reichenberg beobachtet sie beim Lesen, sieht abwechselnd in ihr Gesicht und auf
ihre transparente Bluse. Als die Frau bemerkt, wie von Reichenberg auf ihren
Busen starrt, wendet sie sich ab und tut so, als blende die Sonne sie beim
Lesen. Als die Bedienung vorbeikommt, bezahlt sie, packt das Buch in die Tasche
und geht wortlos davon. Nur die halb volle Cappuccinotasse und von Reichenberg
sind Zeugen ihrer Flucht.
Von Reichenberg zieht sein Handy aus dem Jackett, das er über den
Stuhl neben seinen gehängt hat.
»Mandy, hol dir etwas zu schreiben. Hast du was?«
»Was? Wieso denn?«
»Du sollst nicht blöd fragen. Tu einfach, was ich dir sage, ja?«
»Ist ja gut, ich hab schon was zu schreiben.«
»Okay, dann schreib jetzt auf: Hotel zum Türken, Obersalzberg. Hast
du’s? Hotel zum Türken.«
»Und was soll ich jetzt mit dem Zettel?«
»Pass auf. Wenn ich mich in den nächsten drei Stunden nicht bei dir
gemeldet habe, dann rufst du bei der Polizei in Berchtesgaden an, verstanden?«
»Bei der Polizei? Und was soll ich denen sagen?«
»Du sagst, dass im Hotel zum Türken ein Russe einen Mann festhält
und mit einer Waffe bedroht, eine Geisel.«
»Was? Ich versteh dich so schlecht, wo bist du denn? Warum sprichst
du so leise?«
»Warte.« Von Reichenberg steht auf, geht von der Terrasse zurück
durchs Lokal und hinaus auf den Parkplatz.
»Hörst du mich jetzt besser?«
»Ja, jetzt hör ich dich gut. Aber wer ist der Russe und wer die
Geisel?«
»Frag nicht, ich möchte einfach nur wissen, ob du weißt, was du zu
tun hast.«
»Ich ruf bei den Bullen an, wenn du nicht in drei Stunden bei mir
angerufen und mir gesagt hast, dass alles in Ordnung ist.«
»Okay.«
»Schatzi, willst du mir nicht sagen, was du vorhast?«
»Nein, du sollst einfach nur machen, was ich dir sage.«
»Ich mach mir aber Sorgen um dich, Schatzi. Und wenn du mir nicht
sagst, was los ist, dann ruf ich jetzt gleich bei den Bullen an.«
»Also meinetwegen, spitz die Ohren. Ich habe herausgefunden, dass
der Killer, den Jurij auf unsere Falschgeldboten angesetzt hat, im Hotel zum
Türken, das ist hier am Obersalzberg, ein Zimmer hat. Er beobachtet sie auf
Schritt und Tritt. Ich bin mir sicher, dass er interessante Sachen über die
drei herausgefunden hat. Ich glaube, das Trio ist hier auf Schatzsuche.«
»Was? Hier?«
»Wenn du glaubst, Schätze gibt es nur in der Karibik, bei den Piraten,
dann bist du einfach doof, Mandy. Hast du schon mal was vom Nationalsozialismus
gehört? Bei euch in der DDR müsst ihr darüber
doch auch was in der Schule gelernt haben.«
»Ja, natürlich. Staatsbürgerkunde haben wir ab der siebten bis zur zehnten
Klasse gehabt.«
»So lange bist du zur Schule gegangen, Mandy? Schwindelst du mich
jetzt auch nicht an? Na, egal. Diese Bonzen sind hier alle auf dem Obersalzberg
gehockt, und vielleicht haben sie hier ja tatsächlich noch etwas gebunkert,
bevor die Amis und Briten anrückten.«
»Und deshalb rennst du denen Tag und Nacht hinterher und jetzt auch
noch diesem Russen und wenn nötig auch noch einem Seilbahnschaffner, während
ich hier im Hotel versauere? Warum hast du mich überhaupt mitgenommen, wenn du
mich hier nur
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