Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
Jacobus Cornicius. Wir haben viele Dinge erforscht, haben Erkenntnisse gewonnen, die den meisten Ärzten noch fremd sind. Vesalius’ Abhandlungen über die Anatomie haben wir studiert, die Schriften Girolamo Fracastorius’, der sich mit Seuchen beschäftigt hat, und diejenigen von Paré, der Erkenntnisse in der Wundversorgung hat wie kein anderer. Und Cornicius verfasst selbst Schriften! Ich muss dir so viel erzählen.« Er hielt kurz inne, schien selbst zu merken, dass das nicht die Worte waren, die sich die Hebamme von ihm erhoffte, so sehr sie die Beweggründe verstand. Er räusperte sich. »Ich bin jetzt hier, weil ich von der Marschenfieber-Epidemie gehört habe. Vielleicht kann man was tun. Es gibt über Seuchen ganz neue Erkenntnisse.« Jan war so in seinem Element, dass er die beiden Männer gar nicht bemerkte, die hinter ihn getreten waren.
»Wollt Ihr uns nicht vorstellen?«, fragte der eine, der eher klein und schmächtig wirkte.
Jan fuhr herum. »Natürlich. Das ist Hiske Aalken, Hebamme in der Herrlichkeit.« Er wies mit der Hand auf den Mann. »Lübbert Jans Kremer, Kaufmann aus Emden.«
»Dann habt Ihr die weite Reise ja auch hinter Euch«, sagte eine dunkle Stimme.
»Wer seid Ihr?«, fragte Jan und musterte das Gesicht des stattlichen, gut aussehenden Mannes, dem seine Unwiderstehlichkeit offensichtlich bewusst war. Dennoch machte er auf Hiske einen umgänglichen Eindruck, was vor allem an seinem verschmitzen Gesichtsausdruck und den Grübchen lag, die sich selbst beim Sprechen zeigten. Auch die Augen, die der Farbe von Bernstein ähnelten, machten ihn interessant. Er war ein Mensch, der andere auf Anhieb fesseln konnte.
»Ich bin Friso van Heek, Kaufmann aus Amsterdam. Ihr müsst Jan Valkensteyn sein. Euer Ruf eilt Euch voraus, werter Medicus!« Frisos Worte dröhnten, seine Stimme kam Hiske nunmehr ein wenig zu laut und aufgesetzt vor.
Jan schüttelte ihm die Hand. »Ich freue mich, Euch kennenzulernen. Das ist Hiske Aalken, ihres Zeichens Hebamme in der Herrlichkeit.«
Friso van Heeks Blick wanderte zu Hiske und verweilte eine Spur zu lange auf ihr, als dass es nicht anzüglich wirkte. Er lächelte, verneigte sich und schien in ihren Augen zu baden. Hiske kannte eine solche Reaktion durchaus. Jan schien der eindringliche Blickkontakt zwischen dem Kaufmann und Hiske nicht besonders zu behagen. »Was verschlägt einen Kaufmann wie Euch in diese Einöde?«, fragte er und brach damit den Bann.
Der Kaufmann nickte Hiske freundlich zu und erwiderte: »Geschäfte, Medicus. Ich habe vom Bau des neuen Siels gehört und dass es in der Herrlichkeit einen großen Handelsaufschwung geben wird, wenn alles fertiggestellt ist. Ich bin immer gern einer der Ersten, wenn es etwas zu holen gibt!« Der Kaufmann lachte, und wieder klang es eine Spur zu laut.
Mittlerweile war Jan ein wenig auf Abstand gegangen.
Der Blick Friso van Heeks wandelte sich ständig, so als lauere er auf etwas. Hiske kam es vor, als ruhten in dem Mann zwei Seelen, die miteinander Verstecken spielten, und als zeigte sich immer dann die richtige, wenn es passte. Sie hatte den drei Männern schweigend zugehört. Während der Kaufmann sprach, hatte sich aus dem Ausschnitt seines Wamses, über dem er eine kunstvoll gearbeitete weiße Spitze trug, ein Medaillon herausgearbeitet. Es pendelte hin und her, glitzerte im Morgenlicht, das darin zu tanzen schien. Hiske konnte die Augen nicht davon abwenden. Das Schmuckstück war wunderschön.
Friso van Heek hatte ihren Blick bemerkt, griff zum Medaillon und zeigte Hiske die Vorderseite, die silbern glänzte und auf der ein im Meer schwimmender Kristall abgebildet war. Alles war filigran und sehr auffällig gearbeitet. Ein echtes Kunstwerk. »Eigentlich trage ich es nicht zur Schau, es ist ein Erbstück und sehr kostbar. Ich lege es nie ab. Erinnerungen, versteht Ihr?«
Noch während er das Medaillon in Hiskes Richtung drehte, sah sie, als sich der Ärmel nach oben zog, die große Narbe, die sich vom Unterarm her bis zum Handrücken erstreckte. Sie war breit und ganz bestimmt nicht zusammengenäht worden, dazu waren die Zacken am Rand zu unregelmäßig. Wie ein rosafarbiger Wasserarm floss das Wundmal über die tief gebräunte Haut des Kaufmanns.
»Ihr habt in einer Schlacht gekämpft?«, fragte Hiske. Die Narbe hatte ihre Neugierde geweckt.
Der Kaufmann ließ das Schmuckstück los, steckte es wieder in den Ausschnitt zurück und lächelte. »Eine alte Verletzung«, sagte er. »Nicht mehr der
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