HISTORICAL Band 0264
geben sollte. War das seine Art, ihr durch die Blume verständlich zu machen, ihre Vermutung hinsichtlich des Diebes sei nicht so ganz abwegig gewesen?
„Treten Sie ein, Pater MacKenzie“, sagte Blair und lächelte. „Fröhliche Weihnachten! Lord Lindsay ist heute unser Gast.“
„Ja, Pater, ich habe Miss Duncan soeben erzählt, wie sehr Ihre Predigt beim Frühgottesdienst mir Eindruck gemacht hat. Sie haben ja so recht! Wir sollen die Liebe unserer Herzen ebenso teilen wie die Speisen auf dem Tisch und die Vorräte im Schrank. Das nenne ich den wahren Sinn der Weihnacht!“
9. KAPITEL
Auf dem Heimritt durch die frostig kalte Luft nach der letzten verstohlenen Geschenkrunde überlegte Cameron, ob er noch einmal bei Blair haltmachen solle. Nach der Entdeckung des Schlupfwinkels hatte er diesmal aus seinen Beständen geholt, was noch zu verteilen war. Bei der Größe und den Vorräten von Lindsay Hall würde kein Mensch den Verlust bemerken. Jetzt freilich beschäftigten Cameron ganz andere Gedanken als tätige Nächstenliebe. Blair war eine wirklich bezaubernde Gastgeberin gewesen, obwohl er sich selbst eingeladen hatte. Trotzdem hieße es wahrscheinlich den Bogen überspannen, wenn er sie zu dieser späten Stunde zum zweiten Male aufsuchte. Er war nur ungern aufgebrochen, doch er hatte noch etliches Wichtige zu erledigen gehabt. Grollend erinnerte er sich, dass Pater MacKenzie geblieben war, und tröstete sich dann ein wenig mit der Freude, die er in dieser Nacht armen Menschen mit den prallen Säcken bereitet hatte.
Charlie Fergusons Familie konnte die Kohlen gut brauchen, umso mehr, als die alte Mutter des Bauern noch bei ihm lebte. Und was die MacNabs anging, so verdienten sie die Zuwendungen von Mal zu Mal mehr. Cameron stellte sich vor, wie aufgeregt Mrs. MacNab die Ballen Stoff und Säcke mit Strickwolle öffnen würde, die er ihr vor die Tür gelegt hatte. Allein deshalb bereute er nicht, dass er diese Zeit nicht mit Blair verbracht hatte. Die gute Mrs. MacNab mit ihrer großen Familie hatte immer wieder ein Enkelchen, eine Nichte oder einen Neffen, die Kinderkleider oder eine Aussteuer brauchten. Da war es nur recht und billig, dass jemand helfend eingriff. Es war schon sonderbar, wie Cameron die Leute von Glenmuir in diesem Jahr ans Herz gewachsen waren. Bei den vergangenen Weihnachtsfesten hatte er zwar seine guten Taten ebenso sorgfältig und großzügig geplant, ohne aber persönlich Anteil zu nehmen. Freilich, damals wie heute hatte seine Liebe vor allem Blair gehört.
Natürlich war es sehr ärgerlich, die ganze Zeit neben ihr zu sitzen, ohne mit den Fingern durch das herrliche Haar streichen oder kleine, erregende Küsse auf den schlanken Hals hauchen zu können. Der Priester war keinen Augenblick aus ihrer Nähe gewichen, und auch die Haushälterin war dauernd um sie. Vermutlich hatte er es überhaupt der Anwesenheit der beiden zu verdanken, dass er so bereitwillig aufgenommen worden war. Er argwöhnte, dass Blair immer noch nicht wusste, wie aufrichtig seine Gefühle für sie waren und dass er sein Leben mit ihr teilen wollte.
Immerhin hatte er ihr zur Rechten bei Tisch gesessen, und beim Weiterreichen einer Schüssel hatte sie sogar seine Hand berührt. Und als Pater MacKenzie einen Trinkspruch auf das verlobte Paar ausbrachte, setzte sie sich nicht zur Wehr, sondern bemerkte nur, dass sie und Lord Lindsay noch nicht alle Fragen besprochen hätten. Aber die Angelegenheit entwickelte sich recht vielversprechend. Aus dieser Überzeugung beschloss Cameron, doch noch nach Duncan House zu reiten. Blair konnte nicht mehr tun, als ihn nicht mehr zu empfangen. Das würde sie jedoch nicht tun, es sei denn, er hatte den Ausdruck in den tiefblauen Augen falsch gedeutet.
Mrs. Brown leistete natürlich Widerstand, als Miss Duncan sie bald zu Bett schickte. Aber Blair zog es vor, noch eine Weile still beim langsam niederbrennenden Feuer zu sitzen und bei einer Tasse Tee über Cameron nachzudenken. Jedes Mal, wenn sie der Meinung war, sie hätte ihn durchschaut und sein Rätsel gelöst, handelte er so, dass sie von Neuem vor tausend Fragen stand.
So war nicht zu erwarten gewesen, dass er ihr zuliebe in der Hütte lügen würde. Andererseits hatte er es wohl aus Selbsterhaltungstrieb getan, um die Aufmerksamkeit der anderen von dem Verdacht abzulenken, es könnte sich bei ihm um den gesuchten Dieb handeln. Und die Angelegenheit mit Lord Haverbrooks Uhr war immer noch nicht erledigt, auch wenn er jede
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