Historical Collection Band 02
verfluchter Sohn Odins.
Sie hatten ihn schon übler benannt, überlegte Tharand. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt. Aber so deutlich ihm seine Landsleute auch aus dem Wege gingen, so viel Ehre erwiesen sie ihm im Kampf. Als wäre er einer der Götter, streckte er jeden nieder, der sie bedrohte. Im Kampf hatte er auf des Königs Geheiß alle getötet, schuldig oder unschuldig. Und für jedes Leben, das er genommen hatte, hatte er sich eine Rune in die Haut geritzt. Sein Fleisch für ihr Fleisch.
Tharand macht sich nicht die Mühe, auch nur einen Blick zurück zu dem Langhaus zu werfen, in dem er seine Gefangene zurückgelassen hatte. Schön war sie, voller Feuer und Mut. Früher einmal hätte er vielleicht Mitleid mit ihr gehabt. Aus ihrer Sippe entführt, nur um bald dem König geschenkt zu werden – ein schlimmes Los für eine Frau.
Aber er hatte keine Gefühle. Höchstens das, noch tiefer gesunken zu sein. Und dass es keine Vergebung für das gab, was er zu tun gedachte.
Indes musste man für die, die man liebte, Opfer bringen, selbst wenn das bedeutete, eine Unschuldige auszuliefern.
Als er durch die Siedlung schritt, wagte niemand, seinem Blick zu begegnen. Alle wussten, er hatte eine Gefangene. Mochten sie denken, was sie wollten. Lange würde die Frau ihm nicht mehr gehören. Wenn er sie erst König Magnus übergeben hatte, war er nicht mehr für sie verantwortlich. Im Augenblick war sie einfach Kriegsbeute. Und obwohl die Tradition verlangte, dass er sie strafte, sich ihren Körper nahm, beabsichtigte er, sie für den König zu bewahren.
An einem Haus auf der anderen Seite der Siedlung angekommen, klopfte er an die Tür. Dem Krieger, der sie öffnete, händigte er einen Armreif aus. Asgaud knurrte etwas und wog das Schmuckstück in der Hand.
„Beschaff mir Proviant und ein Pferd für die Reise. Ich werde bei Ludin Unterschlupf für die Nacht suchen. Schick ihm eine Botschaft, dass ich eine Sklavin dabeihabe.“
„Du willst zu Magnus.“ Das war keine Frage. Asgaud wirkte angespannt.
„Richtig.“
„Tharand, wahrscheinlich lebt Jora nicht mehr.“ Der Vorwurf in Asgauds Ton war unüberhörbar. „Du kommst zu spät zu ihrer Rettung.“
Tharand rechtfertigte sich nicht. Seit vielen Jahren führte er seine Krieger an, und sein Schwert brachte Gerechtigkeit und Tod über die, die es verdienten.
„Schick die Botschaft“, wiederholte er und wandte sich ohne ein weiteres Wort ab.
Aisling wärmte sich die Füße an der Glut der Feuerstelle. Denk nach, mahnte sie sich. Dies ist kein Spiel, hier geht es ums Überleben.
‚Versuch, deinen Feind zu durchschauen‘, hatte ihr Vater immer gesagt. Sie zitterte, als sie sich erinnerte, wie Tharand ihr seine große Hand auf den Rücken gelegt hatte. Wie er, sanft wie ein Liebhaber, die Augenbinde um ihren Kopf gelöst hatte.
In dem Raum gab es die Bettstatt, auf der sie gelegen hatte, und einen niedrigen Tisch. An der gegenüberliegenden Wand standen zwei Truhen aus Eichenholz. Darüber hingen verschiedene Waffen. Das war also der stählerne Schimmer gewesen, den sie zuvor bemerkt hatte. In ordentlichen Reihen angeordnet hingen dort Streitäxte und Schwerter, Speere und Dolche. Eine kleine, mit Silberdraht eingelegte Axt, die Klinge kaum größer als die Handfläche einer Frau. Die geschwungenen Linien stellten einen Drachen dar. Nicht ein Rostpünktchen verunzierte das Metall, auch keine Blutspritzer. Alle Klingen waren geschärft und blitzblank.
Das Haus des Vollstreckers, dachte sie trocken. Aber nein, er war ein Krieger, daher die vielen Waffen.
Was nicht zu dem Bild passte, war die fehlende Dienerschaft oder überhaupt irgendjemand, der sich um den Haushalt kümmerte. Wo waren die Frauen? Dann fiel ihr ein, mit welchem Schrecken der kleine Junge Tharand angeschaut hatte. Vielleicht mochte diesem Krieger niemand zu nahe kommen.
Sie selbst auch nicht.
Aisling wählte zwei Klingen, einen schmalen Dolch und ein kaum handlanges Messer. Da sie die Waffen irgendwie befestigen musste, wollte sie schon zum Saum ihres Unterkleides greifen, um ihn abzureißen. Doch warum das Gewand ruinieren? Sollte Tharand doch büßen!
Sie kramte in einer der Truhen und fand schließlich eine Tunika aus Leinen. Rasch schnitt sie mit dem Dolch einen langen Streifen davon ab, umwickelte damit die beiden Klingen und band sie dann an ihr Bein, eine am Oberschenkel, die andere an der Wade.
Da sie vermutete, dass der Krieger jeden Moment zurückkommen könnte, zog
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