Historical Collection Band 02
Er dirigierte sein Pferd neben ihr eigenes, und sie merkte, dass nicht nur das Pferd sehr groß war. Sie zwang sich, still zu sitzen und nicht zurückzuzucken. Und dann fand sie, dass sie das auch gar nicht wollte. „Ein Kuss?“ Er war glatt rasiert, und seine weißen Zähne blitzten im Abendlicht. Und die leichte Brise wehte ihr nicht etwa den dumpfen Mief von Ungewaschenheit entgegen, mit dem sie gerechnet hatte, sondern den klaren Duft nach Leder und Zitrusaroma. „Mit so etwas spaßt ein Kavalier nicht. Nehmen Sie die Perlen, und gut ist es.“
„Nein.“ Er fing die Kette mit einer unbehandschuhten Hand auf und legte sie ihr wieder um den Hals. Dann schob er die Pistole zurück ins Halfter, verbeugte sich leicht und lüftete seinen Hut. „Ich scherze nicht.“
Sein Haar war dunkelbraun, ziemlich lang und wellte sich ein wenig. Seine Augen, grün, wurden von der Maske beschattet, doch als er lächelte, konnte sie trotzdem die Lachfältchen in den Winkeln erkennen.
„Nur ein Kuss?“
Unentschlossen biss sie sich auf die Unterlippe. Er nickte und lächelte auf eine Art, dass sie am liebsten seinen Mund berührt hätte. „Wenn Sie ihn mir gewähren. Ich bestehle keine Frau.“
Ob sie der Stute antreiben und an ihm vorbei davongaloppieren sollte? Als könnte er ihre Gedanken lesen, griff er rasch nach den Zügeln ihres Pferdes. Sarah starrte ihn verblüfft an und fragte sich verwundert, warum sie nicht schrie. Er war wirklich ein sehr seltsamer Wegelagerer. Und sie war in einer sehr seltsamen Stimmung. Sie konnte ihr Herz schlagen hören – bestimmt vor Angst –, aber was sollte sie von der Wärme halten, die tief in ihrem Leib aufglomm, oder davon, dass ihre Lippen ganz trocken geworden waren? Sie fuhr sich mit der Zunge darüber und sah, dass er der Bewegung mit den Augen folgte.
„Wieso steckt ein Strohpüppchen in Ihrem Knopfloch?“
„Ein Andenken von meiner zweiten Küsserin. Es ist ein Fruchtbarkeitssymbol, glaube ich; aber Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Küsse sind harmlos.“
Eine interessante Definition von harmlos! „Also gut, letztendlich habe ich heute Abend nichts Besseres mehr zu tun.“ Sie hob den Kopf, und die Augen schließend, bot sie ihm die Wange. Und dann spürte sie seinen warmen Atem auf der Haut, und ihr wurde klar, dass er tatsächlich nicht mehr wollte, als das, was sie ihm bot – und etwas wie Verrücktheit überkam sie.
Sie schlug die Augen auf, drehte den Kopf und schaute direkt in seine von der Maske überschatteten grünen Augen. Sein Mund traf auf den ihren. „Oh!“, entfuhr es ihr, und seine Zunge schob sich zwischen ihre unwillkürlich geöffneten Lippen; er schlang einen Arm um ihre Schultern und zog sie zu sich heran, sodass sie im Steigbügel stand, während der Kuss dauerte … und dauerte … und dauerte … Die warme Abendsonne schien plötzlich um sie zu kreisen, und seine Wärme und seine tastende Zunge übermannten ihre Sinne. Halt suchend klammerte sie sich an seine Rockaufschläge, berührte seine Zunge mit der ihren und dachte, sie müsse ohnmächtig werden, so intensiv war das alles.
Und dann saß sie wieder im Sattel, und sie schauten einander an, als hätte gerade die Erde unter ihnen gebebt. Er schien sehr schwer zu atmen. Sie dachte eher, sie müsste die Schnüre ihres Mieders lösen um überhaupt noch atmen zu können.
„Madam“, sagte er endlich, „ich muss Ihnen dafür danken, dass Sie mir Ihren kostbarsten Besitz geschenkt haben. Darf ich auch Sie um ein Andenken bitten?“
Sarah fasste drei oder vier Haare einer Strähne, die sich aus ihrer Frisur gelöst hatte, und riss sie aus, dann wickelte sie sie sorgsam um das Püppchen an seinem Revers. Er hielt ihren Kuss für kostbar? Jedenfalls war ihr die Ansicht eines Wegelagerers über ihren Kuss willkommener als Sir Jeremys heuchlerische Würdigung ihrer Jungfräulichkeit.
„Sir, das ist nicht mein kostbarster Besitz.“ Es rutschte ihr völlig unüberlegt heraus.
„Nein?“ Sein Blick haftete auf ihrem Gesicht.
„Nein. Ich bin noch Jungfrau.“
Der Graue schlug mit dem Kopf, als hätte sein Reiter an den Zügeln gerissen. „Madam?“
Sie sah, dass er schluckte. „Und das ist mir zurzeit eine ziemliche Last“, gestand sie.
„Wahrhaftig?“ Er wirkte nicht schockiert, sondern interessiert.
Irgendwie sprudelte die Geschichte aus ihr heraus. Wie sie dazu kam, solch vertrauliche Details einem völlig Fremden – einem Mann! – zu offenbaren, konnte sie selbst kaum
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