Historical Exclusiv 45
keine Zeit!“ Leon gab dem Ross erneut die Sporen, um das Tor zu passieren.
Gabrielle warf einen Blick zurück. Sie wünschte sich sehnlichst, dass sie Yves vor der Gefahr warnen konnte. Jetzt wurde er sogar gleichzeitig von zwei Rittern bedrängt.
Passt auf! wollte sie ausrufen, doch sie vernahm einen Laut, der ihr Herz stillstehen ließ.
Sie hörte ein Kind schreien.
Thomas!
9. KAPITEL
T homas!
Gabrielle konnte an nichts anderes mehr denken. Sie glitt von Leons Pferd, ehe sie das Tor passierten. Sie war entschlossen, ihr weinendes Kind zu finden.
Niemand schien sie beobachtet zu haben. Leon ritt weiter, ohne zu bemerken, dass er alleine war. Er galoppierte unter dem herabsinkenden Fallgatter hindurch und entschwand.
Sie hörte Thomas aufs Neue weinen, und sie wusste, sie hatte sich zu beeilen.
Es schnürte ihr die Kehle zu, als sie sich daran erinnerte, wie fröhlich ihr Sohn vor diesen unseligen Zeiten stets gewesen war. Ihr Thomas, der so gerne lachte.
Nun weinte er, wie er es noch nie getan hatte. Sie drängte die Tränen zurück und schob Yves’ Klinge in ihren Stiefel.
Ihr Sohn bedurfte ihrer.
Gabrielle biss die Zähne zusammen, als sie an dem Kampfgetümmel vorbeikroch und Deckung an der nächsten Mauer suchte. Der Boden war von Blut getränkt.
Hätte jemand genau hingehört, so hätte er vernommen, wie Gabrielle leise betete. Gebete, die ein Teil ihres Lebens geworden waren und die sie Yves in der Nacht zuvor gelehrt hatte.
Als sie im Schatten der Mauer entlangschlich, war sie so sehr mit ihrem Ziel beschäftigt, dass sie nicht merkte, wie ihr jemand folgte.
Verraten, verraten, verraten!
Diese Worte hallten in Yves’ Kopf mit jedem Schlag seiner Klinge wie eine Litanei wider. Er konnte seine eigene Dummheit, in die Falle getappt zu sein, nicht verstehen. Doch wenigstens war Gabrielle außer Gefahr.
Gleichgültig, was ihm in diesen Mauern geschehen würde, er hätte es nicht ertragen können, sie in Gefahr zu wissen.
Ein lautes Quietschen ertönte. Saint-Roux hob den Kopf und stellte fest, dass das Fallgatter wieder in Bewegung war. Sein Gegner traf mit einem Hieb seine Schulter und verletzte ihn trotz des Kettenhemdes.
Verflucht sollten sie sein! Ein anderer Wächter versuchte, ihn und den Rest seiner Männer innerhalb der Mauern festzusetzen. Yves’ stieß mit erneuter Kraft zu und sah, wie der Ritter, der ihn verwundet hatte, zu Boden stürzte.
Behände wandte er Merlin herum und schätzte die Lage ab. Fünf Männer waren ihm zur Seite verblieben, so viel konnte er sehen. Viele waren gefallen und tot.
Doch wo war Gaston? Er ließ den Blick suchend über den Hof schweifen. Wegen des Jungen würden ihm noch frühzeitig graue Haare wachsen. Schon der Gedanke, dass er den Torturm alleine genommen hatte, war haarsträubend. Dieses Zusammenspiel von Tapferkeit und Ungestüm war schwindelerregend.
Der Knappe war nirgendwo zu sehen. Er konnte nur hoffen, dass Gaston bereits den Hof verlassen hatte, denn er konnte sonst nichts für ihn tun. Er musste versuchen, die verbliebenen Männer zum Lager zurückzubringen, bevor das Fallgitter ihnen den Rückweg abschnitt.
Sonst hätten sie alle ihr Leben verwirkt.
„Rückzug!“, schrie er. Sofort trieben die Männer ihre Streitrosse hinter ihm her.
Yves packte im Vorbeireiten einen verwundeten Mann und hob ihn vor sich in den Sattel. Mehrere andere folgten seinem Beispiel. Er gab den Kämpen das Zeichen weiterzureiten, während er seinen Blick nochmals über die anderen Gefallenen schweifen ließ, der Mann, den er gerettet hatte, murmelte derweil Dankesgebete.
Nachdem er überzeugt war, dass alle gerettet waren, die noch atmeten, hielt Yves auf das Tor zu. Zu spät bemerkte er, dass er der Letzte war und das Fallgitter sich bedrohlich senkte.
Er spornte Merlin an, doch das Tier wusste auch so, um was es ging.
Zoll um Zoll senkte sich das Gitter.
Sie würden es nicht schaffen!
Der Mann vor ihm stöhnte vor Angst. Saint-Roux beugte sich tief im Sattel hinab. Merlin streckte sich so flach wie möglich und galoppierte so schnell er konnte.
Yves hörte das Reißen von Stoff, als die tödlichen Spitzen seinen Waffenrock zerfetzten. Dann sah er das Blau des Nachthimmels über sich und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Hinter ihm donnerte das Gatter auf den Boden. Er hörte die Verfolger über das Hindernis fluchen, aber Yves spornte sein Streitross weiter an.
Auf der anderen Seite des Flusses sah er einen einzelnen Reiter. Es
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