HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
beugte sie sich herab, um ihr einen Gutenachtkuss auf die Wange zu hauchen.
Alayna verstand die Worte ihrer Amme nicht, doch sie war inzwischen zu müde geworden, um darüber nachzudenken. Seufzend schloss sie die Augen und sehnte sich nach dem trostreichen Vergessen des Schlafes.
Doch bevor sie in das Reich der Träume hinüberglitt, klangen immer noch Eurices Worte in ihr nach. Sie hatte gesagt, Alayna müsse glauben.
Wenn sie es wirklich wagte, an seine Liebe zu glauben, dann stellte sich ihr immer noch eine wichtige Frage.
Wo war er heute Nacht?
Lucien döste in einer Ecke des Stalles, während sein Pferd neu beschlagen wurde. Er träumte von sanften braunen Locken, die sich verführerisch um seine Finger ringelten, von vollen weichen Lippen, die sich erwartungsvoll für seinen Kuss öffneten. Im Traum sah er sie nackt aus einem Waldteich steigen, der ebenso klar und smaragdgrün war wie ihre Augen. Wie immer bewegte sie sich mit der leichten Grazie, die ihr zu eigen war, und sie streckte einladend die Arme nach ihm aus. Lucien sah sich selbst am Rand des Wassers stehen. Verzweifelt sehnte er sich danach, zu ihr zu gehen, doch er war unfähig, sich zu bewegen. Er konnte nur tatenlos zusehen, wie Alayna, seine Gemahlin, ihn wie eine Wassernymphe lockte.
Widerwillig erwachte er, als Agravar nach ihm rief. Mit schlaftrunkener Stimme krächzte Lucien eine Antwort, während er vorsichtig seine schmerzenden Glieder bewegte, die ihm sein unbequemes Lager verschafft hatte. Wieder schweiften seine Gedanken zu der weichen Schlafstatt, auf der Alayna ihn erwartete. Es verstärkte seine schlechte Stimmung nur noch, als er daran dachte.
„Gut, wie ich sehe, bist du wach. Du hattest wohl keine geruhsame Nacht, eh? So wie du aussiehst, muss das Stroh unangenehm gestochen haben.“
„Wo ist Will?“, knurrte Lucien, indes er mit der Hand durch sein zerzaustes Haar fuhr.
„Er und Perry sind schon aufgebrochen, um die Straße nach Thalsbury zu erkunden. Er müsste eigentlich im Laufe des Nachmittages zurückkehren.“
Lucien nickte. Insgeheim war er erleichtert, dass sich Will nicht im Schloss aufhielt – und möglichst weit weg von Alayna war. Ab sofort würde er sichergehen, stets über den momentanen Aufenthaltsort des Ritters Bescheid zu wissen.
Er schüttelte diese Gedanken ab und stand auf. „Nun gut. Dann lass uns nach den Vorräten sehen. Ich will, dass die Waffenkammer geöffnet wird und die Fußsoldaten mit Schwertern ausgestattet werden. Die Ritter sollen noch einmal den Zustand ihrer Pferde und Waffen überprüfen, dann werden wir bereit sein. Sobald Will mit Perry zurück ist, schicke einen von ihnen zu mir, um mir Bericht zu erstatten. Anschließend werden wir die letzten Einzelheiten unseres Schlachtplanes besprechen. Wenn alles gutgeht, können wir morgen aufbrechen.“
„Was ist mit den Kriegsmaschinen, werden wir sie mitnehmen?“, fragte Agravar.
Lucien dachte einen Moment lang nach. „Nein. Die nördliche Straße ist immer noch voller Schlamm, sie sind zu schwer und würden steckenbleiben. Außerdem werden wir sie nicht brauchen.“
Als Agravar zweifelnd die Braue hob, erklärte Lucien: „Garrick würde erwarten, dass wir die schwächste Seite angreifen, und er weiß, dass ich das geheime Tor am Fluss, in der Nähe der Klippen, kenne. Auf der Ostseite der Wehrmauer befindet sich ein Turm, der direkt an den Wald grenzt. Ich kenne diese Stelle noch aus meiner Kindheit. Als Junge schlich ich mich nachts gerne aus dem Schloss, bis es mein Vater entdeckte und die vorderste Baumreihe fällen ließ. Doch der Wald liegt immer noch nahe genug, um einige Männer in die Baumkronen klettern zu lassen. Von dort aus können sie einen Übergang zum Turm bauen.“
Agravar lächelte. „Du willst sie über die Mauer schicken, um unseren Angriff im Inneren stattfinden zu lassen? Was für ein Glück, dass du als Junge so ungehorsam warst.“
„Ich kam nur für eine Weile damit durch“, bemerkte Lucien, als er an seinen letzten nächtlichen Ausflug dachte. Nachdem er sich in den Morgenstunden zurück in das Schloss geschlichen hatte, wartete sein Vater bereits auf ihn. Raoul hatte bei seinem Sohn niemals Gewalt anwenden müssen, da Lucien seinen Vater genug respektierte, um ihm zu gehorchen. In dieser Nacht hatte sein Vater zum ersten Mal die Hand gegen ihn erhoben, und seine Schläge waren auch nur halbherzig gewesen. Diese Erinnerung wärmte Lucien das Herz. Seltsamerweise war seine frühere Bitterkeit
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