Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Historical Exclusiv Band 44

Historical Exclusiv Band 44

Titel: Historical Exclusiv Band 44 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blythe Gifford , Ana Seymour
Vom Netzwerk:
Waffe, mit der er jederzeit zuschlagen konnte. Dieser Mann war unempfänglich für die Verführungskünste einer Frau. Er musste irgendetwas anderes wollen.
    Einen Moment lang bedauerte sie es. Sie hatte geglaubt, er wäre anders. „Ich verstehe. Was wollt Ihr für Euer Schweigen?“
    Er zog die Brauen hoch. „Verwechselt meinen Charakter nicht mit Eurem, Lady Solay. Ich tue so etwas nicht.“
    „Also werdet Ihr Stillschweigen bewahren und den Gefallen einfordern, wenn es nötig wird.“
    Er schien überrascht, als er ihr Gesicht musterte. „Traut Ihr denn niemandem?“
    „Mir, Lord Justin. Mir selbst vertraue ich.“
    „Bestimmt hat Euch schon einmal jemand etwas gegeben, ohne eine Gegenleistung zu erwarten?“
    Sie dachte zurück. All die Höflinge, die ihre Mutter umschmeichelt hatten, waren verschwunden in der Nacht, als der König starb. All ihre Freundlichkeit, sogar gegenüber einem kleinen Mädchen, hatte nur den einen Grund gehabt: in die Nähe der Macht zu gelangen. „Nicht, dass ich wüsste.“
    „Dann tut Ihr mir leid.“
    Sie sah einen Anflug von Traurigkeit in seinen Augen und wappnete sich dagegen. „Ich will Euer Mitleid nicht. Eines Tages werdet Ihr etwas von mir wollen, Lord Justin. Das tun alle.“
    „Ihr seid diejenige, die etwas will, Lady Solay. Nicht ich.“
    Er kehrte ihr den Rücken zu und ließ sie in dem überfüllten Raum stehen.
    Als der nächste Mann sich näherte, zuckte sie die Achseln. Was Lord Justin sagte, spielte keine Rolle. Seine Handlungen würden sein wahres Wesen zeigen.
    Justin ging die Treppe hinunter und dann hinaus in den Innenhof, froh, von ihr fort zu sein. Die Dunkelheit und ihre Nähe waren ihm zu Kopf gestiegen.
    Wegen ihres Betrugs sollte ich sofort zum König gehen, dachte er und rieb mit dem Daumen über seinen Ring, auf dem drei Wörter eingraviert waren: Omnia vincit veritas. Die Wahrheit siegt über alles. Er musste dem König nur berichten, dass sie gelogen hatte, und dann wäre sie fort.
    Doch um ihn herum strömte der Hofstaat in Richtung Kapelle zur Mitternachtsmesse. Das war kaum der richtige Zeitpunkt, um seinen König zu stören und ihm zu sagen – was? Dass Lady Solay in Bezug auf ihren Geburtstag gelogen hatte? Welche Dame tat das nicht? Der König, der selbst nicht allzu genau auf seine Worte achtete, konnte es als Kompliment auffassen oder als Affront.
    Justin verlangsamte seine Schritte. Er konnte sich vorstellen, welches Gesicht Richard machen würde. Nachdem der König die Tatsache begriffen hätte, würde ein listiger Ausdruck in sein Gesicht treten. Dann würde er, genau wie sie es vorausgesagt hatte, dieses Wissen als Waffe benutzen und es dann einsetzen, wenn sie am verletzlichsten war. Und dass Lady Solay verletzlich war, das wusste Justin trotz allem. Wenn sie ihn mit ihren veilchenfarbenen Augen so flehend ansah, dann erinnerte sie ihn an eine andere Frau. Eine Frau, die so verzweifelt gewesen war, dass …
    Er schob diese schmerzliche Erinnerung beiseite, als er am Runden Turm vorüberging, der sich zwischen Oberem und Unterem Hof erhob. Es gab keinen Grund, Solays Geheimnis heute Nacht zu enthüllen. Die Drohung allein würde sie dazu bringen, sich zurückzuhalten. Außerdem würde der Rat ihre Zuwendung niemals bewilligen, was spielte es also für eine Rolle?
    Doch als er die Kapelle betrat und sich vor dem Altar verneigte, spürte er das Wissen um ihre Lüge und die Verzweiflung, von der sie herrührte, wie eine schwer verdauliche Mahlzeit in seinem Magen.
    Abgesehen von dem Gefühl, dass er zum ersten Mal in seinem Leben die Wahrheit zurückhielt.
    An der Seite von Lady Agnes verließ Solay nach der Mitternachtsmesse die Kapelle. Sie hatte einen steifen Hals, so sehr hatte sie sich bemüht, den König im Auge zu behalten. Sie hatte gekniet, wenn der König kniete, und sich erhoben, wenn er es tat, war seinen Bewegungen wie ein Schatten gefolgt.
    Zumindest hatte sie das getan, bis Lord Justin ihr die Sicht versperrte. Er bewegte sich in seinem eigenen Rhythmus und achtete weder auf den König noch auf sonst jemanden. Nur einmal sah er sie an, mit einer Miene, die zu sagen schien: Könnt Ihr nicht einmal vor Gott Ihr selbst sein?
    Sie fragte sich, mit welchem Recht er über sie urteilte, und fröstelte unter ihrem dünnen Umhang. Er wusste nichts über ihr Leben.
    Aber er kannte bereits ein Geheimnis, das sie bedrohte. Und ihr ungeschickter Versuch, ihn zu küssen, hatte alles noch schlimmer gemacht.
    Jeder wollte irgendetwas.

Weitere Kostenlose Bücher