Historical Exklusiv Band 42
Erwiderung verbiss – selbst wenn ihr etwas Passendes eingefallen wäre.
„Gute Nacht, Mylord“, erklärte sie mit eisiger Höflichkeit, die eine ebenso förmliche Verbeugung seinerseits nach sich zog, allerdings irgendwie geschmälert durch die Tatsache, dass seine Schultern noch immer zuckten. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, eilte Talitha die Stufen zur Haustür hinauf. Erleichtert stellte sie fest, dass Rainbird diese bereits öffnete.
„Guten Abend, Rainbird“, begrüßte sie ihn strahlend. „Ist Lady Parry daheim?“
„Ihre Ladyschaft hat sich früh zurückgezogen, Miss Grey. Darf ich Ihnen etwas bringen?“
„Nein, vielen Dank, Rainbird, ich werde mich ebenfalls zurückziehen – könnten Sie mir bitte meine Zofe heraufschicken?“
Sobald sie in ihrem Zimmer war, bereute sie diese letzte Bitte. Jetzt musste sie sich ruhig und würdevoll verhalten, während Susan ihr beim Auskleiden half, die Nadeln aus ihrem Haar entfernte und ihren Schmuck wegschloss. Dabei wollte sie sich eigentlich am liebsten ein Kissen schnappen und die Füllung herausschlagen.
Ergeben saß sie stattdessen in ihrem Umhang da, während Susan ihr das Haar bürstete. Sie versuchte, sich zu beruhigen, indem sie im Geiste die vielen Charakterfehler aufzählte, die Nicholas Stangate besaß. Er ist kalt, er ist manipulativ, dominant, arrogant und misstrauisch. Er küsst unschuldige junge Damen, er sorgt dafür, dass ich mich vergesse und meine Selbstbeherrschung verliere. Es ergab eine zufriedenstellend lange Liste. Talitha biss sich auf die Lippen und entschied, dass sie der Fairness halber auch die wenigen – sehr wenigen – guten Eigenschaften aufzählen sollte, die Nick besaß. Er liebt seine Tante und kümmert sich äußerst taktvoll um William. Er hat mich zweimal vor Jack Hemsley gerettet. Er hat sich absolut anständig verhalten, als er mich auf dem Dachboden gefunden hat. Er ist äußerst intelligent. Er hat Humor. Er sieht … er ist sehr attraktiv. Wenn er mich küsst, würde ich am liebsten … will ich, dass er niemals aufhört. Er bringt mich dazu, meine Beherrschung zu verlieren, weil … weil …
Ihre Gedanken brachen abrupt ab. „Danke, Susan, das reicht. Ich brauche dich heute Abend nicht mehr.“
Das flackernde Feuer im Kamin knackte und zog ihre Blicke magisch an. Talitha starrte in die Flammen und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Warum schaffte Nick es, ihre so sorgsam aufrechterhaltene Fassung zum Einsturz zu bringen, ihren gesunden Menschenverstand zu beeinträchtigen?
„Weil ich ihn liebe“, verkündete sie in das leere Zimmer hinein. „Weil ich ihn liebe.“
12. KAPITEL
A m folgenden Morgen stellte Talitha fest, dass sie nicht wusste, was sie mit der Enthüllung vom vorangegangenen Abend anfangen sollte. Sie hatte sich seltsam ruhig gefühlt danach, war ins Bett gestiegen und schnell eingeschlafen. Soweit sie wusste, hatte sie nicht geträumt.
Die eigenartige Ruhe blieb, obwohl sie sich gleichzeitig völlig verstört fühlte. Es war, als ob sie sich selbst dabei zusah, wie sie sich blindlings in Gefahr begab, unfähig, etwas dagegen zu unternehmen. Irgendetwas musste geschehen, so viel war ihr klar. Nick liebte sie bestimmt nicht und selbst wenn, so wäre sie nicht die passende Frau für ihn.
Auch ein Ausflug mit Lady Parry zu Ackerman’s ließ das komische Gefühl nicht verschwinden. Obgleich Talitha bereits mehr Kleider hatte, als sie vermutlich je anziehen würde, wollte ihre Gönnerin, dass sie allen anderen um eine Nasenlänge voraus war. Auf dem Ausflug beabsichtigte sie daher, sich sämtliche neuen Schnitte zu beschaffen, sodass Talitha in der zweiten Hälfte der Ballsaison bereits die zukünftige Mode vorführen konnte.
„Ich bin sicher, dass man dir recht bald Anträge machen wird, liebste Tallie“, bemerkte sie selbstzufrieden, als sie aus der Kalesche ausstiegen, um zur Schneiderin zu gelangen. Abwesend beobachtete Talitha einen dünnen Menschen in einem übergroßen Paletot und einer ramponierten Biberpelzmütze auf dem Kopf, der am Geländer neben dem Haus lehnte. Er sah seltsam vertraut aus. „Anträge, Mylady?“
„Heiratsanträge. Du bist doch nicht ärgerlich wegen irgendetwas, oder, Tallie?“
„Nein, nein … entschuldigen Sie bitte. Wer würde mir denn einen Antrag machen wollen?“ Einige der Gentlemen schienen sich in ihrer Gesellschaft tatsächlich recht wohlgefühlt zu haben, das stimmte. Es gab ein paar, die sie stets zum Tanzen aufforderten, und andere,
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