historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
zu werden, mit dem Wind geworfen. Weißt du nicht, dass auch auf Unterschla gung eines zugeflogenen Beizvogels die Blendung des Schuldigen steht?"
Meriel erschrak zutiefst. Nie hätte sie erwartet, dass die Sache derartige Formen annehmen könne, wurde blaß und bekam weiche Knie. Abgesehen von der Art der Bestrafung, schreckte sie die Vorstellung, dass der Earl solcher Härte fähig sein konnte. Aber Alan hatte ja erwähnt, dieser Mann sei zu allem in der Lage.
Angesichts des Abscheus, der sich auf Meriels Mie ne spiegelte, fuhr Adrian beschwichtigend fort: „Keine Angst, Mädchen, ich würde niemals mit solcher Grausamkeit vorgehen. Es wäre schade um dich, und ich hasse Verschwendung. Ich gebe dir noch eine Gelegenheit", fügte er unvermittelt in Walisisch hinzu, „mir die Wahrheit zu gestehen. Wer bist du, und wo lebst du?"
„Ich habe weitestgehend wahr gesprochen", entgegnete Meriel in derselben Sprache, „und alles andere hat nichts mit den erhobenen Vorwürfen zu tun. Ich schwöre bei der Heiligen Jungfrau Maria, dass ich mir nichts zuschulden kommen ließ! Wenn du ein gerechter Mann bist, musst du mir glauben. Es gibt keinen Beweis, dass ich ein Verbrechen begangen hätte."
„Ich wäre von deinen Angaben überzeugt, hätte ich dich außerhalb des Forstes und ohne Falken angetroffen", erwiderte der Earl of Shropshire gelassen. „In Anbetracht der Umstände kann ich dich jedoch auf unbestimmte Zeit einsperren."
„Dann stelle mich vor Gericht!" verlangte Meriel kühn, obgleich es sie verunsicherte, dass der Earl sie so eindringlich beobachtete. „Das ist mein Recht! Kein unbestechlicher Dingwart wird mich eines Vergehens für schuldig befinden. Gott ist mein Zeuge, dass ich mir nichts vorzuwerfen habe!"
„Wenn du so viel von diesen Dingen verstehst", sagte Adrian kühl und wechselte ins Angelsächsische, „dann ist dir sicher nicht fremd, dass mir als Earl der Vorsitz über die hohe und niedere Gerichtsbarkeit zusteht. Wenn es mir beliebt, kann ich dir zur Strafe für das Wildern die Augen ausstechen, die Hand abhacken oder dich sogar töten lassen, und niemand würde daran Anstoß nehmen."
„Von Menschen geschaffene Gesetze mögen dir das einräumen", brauste Meriel verärgert auf, „aber es wäre ein zum Himmel schreiendes Unrecht!"
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Ohne auf den Vorwurf einzugehen, fuhr der Earl gleichmütig fort: „Meine Kenntnis des Walisischen ist sicher nicht vollkommen, dennoch kommt es mir vor, dass du weniger mit nördlichem, eher mit südlichem Tonfall redest. Dein Angelsächsisch ist zudem frei von Fehlern. Bist zu eine Einheimische von walisischer Herkunft? Vielleicht eine Leibeigene, die ihrem Herrn Pferd und Falken entwendet hat und dann geflohen ist?"
Zur Beruhigung atmete sie tief durch und sah dem Earl in die Augen. „Nein, Mylord, du irrst. Ich bin freigeboren, keine Hörige, und habe nie im Leben etwas gestohlen!"
„Dann benenne Zeugen, die deine Behauptungen bestätigen können", forderte er unbeeindruckt. „Ich lege keinen Wert auf zehn Bürgen. Es genügen fünf, die für dich einstehen. Danach setze ich dich unverzüglich auf freien Fuß."
Kaum einen Tagesritt von Warfield entfernt gab es eine große Anzahl Menschen, die für den guten Leumund der Herrin die Hand ins Feuer gelegt hätten, doch mehr denn je war Meriel zu der Überzeugung gelangt, dass sie Avonleigh keiner Gefahr aussetzen durfte.
„Warum verlangst du das von mir?" fragte sie und hob stolz den Kopf. „Du weißt sehr wohl, Mylord, dass ich keine Bürgen beibringen kann. Meine Anverwandten und Freunde leben in der Ferne, und hier kenne ich niemanden. Trifft jeden, der einer so nichtigen Kleinigkeit bezichtigt wird, dein Zorn, oder gilt deine Ungnade nur mir?"
Adrian de Lancey erhob sich, ging zum Fenster und schaute einen Moment schweigend hinaus. Dann drehte er sich gemächlich um und antwortete ruhig: „Ich behandele dich nicht schlechter als jeden anderen, sondern führe dir nur den Ernst deiner Lage vor Augen. Du weigerst dich, mir klares Zeugnis über dich abzulegen, wenngleich alle Umstände gegen dich sprechen. Dennoch beabsichtige ich nicht, dein Verschulden mit aller Härte zu ahnden, obwohl es in meiner Macht stünde."
Gegen das Licht konnte Meriel das Gesicht des Earl nicht erkennen, doch seine Haltung drückte mühsam beherrschte innere Anspannung aus. „Was hast du dann mit vor?" fragte sie verwirrt, da sie nicht begriff, worauf er hinauswollte.
Eine Weile blieb er stumm vor dem Fenster
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