historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
Mylord Shropshire über mich fällen wird?"
„Ach, ich habe gehört, du hättest nur Niederwild gefangen. Er wird dir also nur eine Strafpredigt halten und dich dann nach Hause schicken. Heute morgen ist er ausgeritten, aber ich nehme an, du wirst am Nachmittag zu ihm gerufen. Lambert of Nesscliff, unser Seneschall, lässt anfragen, ob du in der Zwischenzeit etwas benötigst."
Meriel war verblüfft. Einer Gefangenen begegnete man fürwahr nicht mit solchem Entgegenkommen. Vor Verlegenheit wusste sie nicht, was sie sagen sollte, entschied sich dann jedoch, auf das Angebot einzugehen, und erkundigte sich zaghaft: „Wäre es möglich zu baden?"
„Was?" äußerte die Magd verdutzt. „Warum nicht?" fuhr sie achselzuckend fort. „Ich sorge dafür, dass dir alles gebracht wird."
Sie zog sich zurück, und Meriel rückte einen der beiden Faltsessel zur Truhe, nahm Platz und begann zu speisen. Sie war hungrig, und das Essen schmeckte ihr.
Nach einer Weile trugen zwei dralle Frauen einen Bottich in das Gemach, gefolgt von jüngeren Mädchen mit Gefäßen voll heißen Wassers und linnenen Tüchern. Das Bad wurde gerichtet, und dann ließen die Mägde Meriel de Vere allein.
Sie zog sich aus, setzte sich in den länglichen hölzernen Zuber und genoss, entspannt zurückgelehnt, einige Zeit die wohltuende Wärme. Nachdem sie das verschmutzte Haar gewaschen, sich abgetrocknet und gekämmt hatte, überlegte sie, ob sie auch die Gewänder reinigen solle. Sie unterließ es jedoch, da ihr keine anderen zur Verfügung standen, schüttelte und rieb die verfleckten Stellen, bis kaum noch etwas zu sehen war, und kleidete sich wieder an.
Mit dem Gefühl, ordentlich auszusehen, ging sie zum Kreuz und kniete sich hin. Sie betete inbrünstig darum, dass die Menschen in Avonleigh nicht in allzu großer Sorgen um sie waren, und erflehte den Beistand des Allmächtigen für die eigene Ungewisse Zukunft.
Durch die Zwiesprache mit Gott getröstet, konnte sie sich nicht vorstellen, dass ihrer ein grausames Los harrte. Sie erhob sich, schob den Faltstuhl vor ein Fenster und nahm Platz.
Versonnen stützte sie das Kinn auf die verschränkten Finger und ließ sich die laue Brise durch die noch feuchten braunen Locken wehen. Ruhig dachte sie darüber nach, was sie dem Earl of Shropshire sagen sollte, wenn er sie der Befragung unterzog. Er sollte, wie sie von Margery und Ralph wusste, ein gerechter Mann sein, der sie sicher nicht länger festhalten würde, sobald er gehört hatte, dass sie keines Verbrechens schuldig war. Sie würde ihm antworten, dass sie aus Wales stammte, auf der Reise zu Verwandten sei und unterwegs auf offenem, allgemein zugänglichem Gelände gejagt habe. In jedem Fall war es ratsamer, dem Earl nicht zu bekennen, dass sie das Angelsächsische fließend beherrschte und in Avonleigh lebte. Es wunderte sie ohne hin, wie gut er der Landeszunge und des Walisischen mächtig war, da die Edlen des Reiches zumeist nur die Langue d'oeuil, die Sprache der Normannen, kannten. Sie selbst hatte Walisisch von der Mutter und Englisch von den Spielgefährten ihrer Kindheit gelernt, da sie auf einem kleinen, im Westen gelegenen Gut aufgewachsen war. Auch Alan war mehrerer Sprachen kundig, einer der Gründe, warum Mylord Moreton seine Dienste so schätzte.
Die Sonne stand im Zenit, als Margery das Mittagsmahl brachte. Meriel sättigte sich und ließ sich dann erneut am Fenster nieder. Den Blick auf die am blauen Himmel vorbeiziehenden Wolken gerichtet, verlor sie sich in Gedanken und wäre eingenickt, hätte das Zurückschnappen des Tür schlosses sie nicht aufgeschreckt.
Ein Knappe betrat die Kammer und sagte: „Komm! Mylord Shropshire wünscht dich zu sehen."
„Ich brauche nur einen Moment, um das Haar zu flechten", erwiderte sie, während sie sich hastig erhob.
„Das ist jetzt unwichtig!" entgegnete er schroff. „Mylord hat es nicht gern, wenn man ihn warten lässt."
Es war ihr nicht recht, dem Earl mit offenen Locken entgegenzutreten, da es sich für eine Höhergeborene nicht schickte. Nur widerwillig folgte sie dem jungen Ritter den langen Gang hinunter und in ein Gemach, das sich ganz am Ende befand. Allein gelassen, ging sie neugierig weiter in den großen Raum hinein und schaute sich um.
Offenbar war dies das Studierzimmer des Burgherren. Über zwei Durchgängen und wuchtigen, hochlehnigen Bänken an der rechten und linken Seite zierten prachtvoll gewebte Behänge mit kriegerischen Darstellungen die Wände; lederne
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