historical gold 036 - Der Flug des Falken.doc
stehen, ehe er langsam, eine bedrohliche dunkle Gestalt, auf Meriel zuschritt, auf Armeslänge vor ihr stehenblieb und in sprödem Ton äußerte: „Ich möchte, dass du mein Lager teilst."
Fassungslos starrte sie ihn an. „Du hast wohl den Verstand verloren, Herr!" platzte sie heraus.
„Keineswegs!" widersprach er, wiewohl er wusste, dass es nicht klug war, sein Ansinnen derart kühn und unverblümt vorzutragen. „Es ist die natürlichste Sache der Welt, dass ein Mann eine Frau begehrt."
„Warum mich? Ich bin keine Schönheit! Es gibt Hunderte von Weibern, die hübscher, reizvoller und sinnlicher sind als ich!"
Erstaunt, dass sie sich ihrer Wirkung nicht bewusst war, betrachtete Adrian ihr schimmerndes, das Antlitz so verführerisch umrahmende dunkelbraune Haar und die schlanke, grazile Gestalt. „Ich will keine andere", entgegnete er fest. „Nur dich!"
„Ich weigere mich! Gib mir die Freiheit zurück!"
Adrian spürte, dass die Stimmung umschlug. Bisher war er der Standesherr gewesen, der eine entsprungene Dienstmagd verhört hatte. Nun standen sie sich nur als Mann und Frau gegenüber. „Hast du einen Gatten?" fragte er ernst.
Sie schüttelte den Kopf.
„Bist du jemandem versprochen?"
Wieder die stumme Verneinung, die Adrian zwar erleichterte, ihn aber gleichzeitig ein seltsames Bedauern für Meriel empfinden ließ. Ihre Ehrlichkeit machte sie verletzbar. Sie hatte ihm bereits gezeigt, welch schlechte Lügnerin sie war, und nun versuchte sie gar nicht erst, ihm durch einen neuen Vorwand zu entkommen. „Du hättest klüger daran getan, mich zu beschwindeln", sagte er weich. „Ich hätte mich mit deiner Weigerung abgefunden, wenn auch nicht leicht, wärest du gebunden gewesen. So jedoch will ich dich für mich gewinnen."
„Wenn Drohungen deine Vorstellungen von Minne sind", erwiderte Meriel frostig, „dann nimmt es mich nicht Wunder, dass du auf eine Dirne angewiesen bist! Du solltest deinen Truchsess bitten, dir eine willige Magd zu besorgen, die dir beiliegt. Ich bin sicher, für ihn wird das kein schwie
riges Unterfangen sein! Es sei denn", fügte sie mit ängstlicher werdendem Blick hinzu, „die Aussicht, mich mit Gewalt besitzen zu können, erregt dich.
Denn nur so könntest du dich meiner bemächtigen!"
„Nein, ich werde mich nicht an dir vergreifen. Ich hoffe, ich kann dich überzeugen, dich mir freiwillig zu schenken", sagte Adrian und trat, nicht imstande, die Sehnsucht noch länger zu meistern, nah zu Meriel heran und legte ihr die Hände auf die Schultern.
Sie versteifte sich, reckte leicht den Kopf und schaute den Earl of Shropshire wie erstarrt an.
Die langen Wimpern unterstrichen noch den Reiz der weitgeöffneten dunkelblauen Augen, in denen Adrian einen stummen Vorwurf las. Es mochte dahingestellt bleiben, ob sie schön war oder nicht; für ihn hatte das keine Be wandtnis. Viel wichtiger war, dass er Meriel unwiderstehlich fand. Er neigte sich vor und suchte ihre Lippen, nicht mit der Leidenschaft, die sie beim ersten Zusammentreffen in ihm erweckt hatte, nur voll des Zartgefühls, dessen er fähig war.
Ihr Mund öffnete sich, und einen Herzschlag lang wehrte sie sich nicht.
Ihr stilles, scheues Verhalten gab Adrian die Hoffnung, dass auch sie ihn begehrte und sich ihm bald hingeben würde. Er schlang die Arme um sie und zog sie stürmisch an die Brust.
Sogleich verkrampfte sie sich, riß sich heftig von ihm los und wich vor ihm zurück. „Kein Gesetz gestattet es dir, Herr", sagte sie entrüstet, „an einer angeblichen Missetäterin Notzucht zu begehen!"
Er zwang sich, ihr nicht zu folgen, und erwiderte betont ruhig: „Mir steht nicht der Sinn danach, dich zu missbrauchen. Ich biete dir alles, was Macht und Reichtum dir verschaffen können. An meiner Seite wirst du geachtet und geehrt sein."
„Geehrt?" wiederholte Meriel ungläubig. „Wenn ich deine Dirne bin? Soll ich, sobald du mit einer reichen Tochter aus vornehmstem Hause vermählt bist, deine Buhle sein? Willst du mich zur Ehebrecherin machen? Dich mag dein Seelenheil nicht kümmern, aber ich denke anders!"
Sie hatte den wunden Punkt getroffen. Adrian hatte sich geschworen, nie treulos zu sein, auch dann nicht, wenn er verheiratet war. Es bereitete ihm Unbehagen, dass sie ihn daran erinnert hatte, doch er beschloss, das Problem zu verdrängen. Ungeachtet einer inneren Stimme, die ihn einen Heuchler schalt, antwortete er, sich selbst beschwichtigend: „Bei zwei Menschen, die ungebunden und einer freien
Weitere Kostenlose Bücher