HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
Hörvermögen im Laufe der Zeit zurückgekehrt war und er seine angebliche Behinderung ganz gezielt immer dann einsetzte, wenn er sich einen Vorteil davon erhoffte.
„Bethany, hast du schon das Neueste gehört?“ Edwina Cannon, die größte Klatschtante des Dorfes, griff nach Bethanys Arm, als sie nebeneinander zu der wartenden Kutsche gingen. Sie hatten die letzte Stunde damit verbracht, im Pfarrhaus dem jungen, attraktiven Diakon Ian Welland bei seiner Lesung aus den Psalmen zuzuhören.
Mistress Coffey machte einen hochzufriedenen Eindruck, und Bethany wusste auch, warum. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sich die Haushälterin in den Kopf gesetzt, dass eine der Lambert-Schwestern einen Geistlichen heiraten sollte. Und da Ambrosia bereits mit ihrem schneidigen Kapitän verheiratet war und Darcy einem Seemann namens Gray Barton zugetan zu sein schien, blieb also nur noch Bethany übrig.
Diese musste zugeben, dass der junge Diakon recht gut aussah. Auch war ihr bekannt, dass so manches Mädchen in Land’s End ihn anhimmelte und jedes Wort, das er von der Kanzel sprach, begierig aufnahm. Doch ihr persönlich war Ian Welland einfach zu sanft und einschmeichelnd.
„Was soll ich gehört haben?“ Bethany wandte sich Edwina zu, während die Haushälterin und Edwinas Mutter in die Kutsche stiegen.
„Der Earl of Alsmeeth hat seine Rundreise durch Cornwall beendet und will sich dauerhaft auf dem Familiensitz niederlassen.“
Bethany seufzte unterdrückt auf. „Ich hatte gehofft, du hättest wirklich aufregende Neuigkeiten. Über ein Piratenschiff in Küstennähe oder ein erneutes Auftauchen des geheimnisvollen Wegelagerers, der sich selbst ‚Lord der Nacht‘ nennt. Außerdem war ich der Meinung, der alte Earl sei verstorben.“
„Doch nicht der alte, du Dummerchen“, versetzte Edwina. „Es handelt sich um seinen Sohn. Er heißt Kane und soll atemberaubend gut aussehen.“ Sie hatte jenen Glanz in den Augen, den sie immer dann bekam, wenn sie an einem Gentleman interessiert war.
Die beiden jungen Frauen stiegen nun ebenfalls in die wartende Kutsche und nahmen gegenüber Mistress Coffey und Mistress Cannon Platz. „Man weiß von ihm nur“, erklärte die Haushälterin, „dass er sehr zurückgezogen lebt und äußerst überheblich sein soll. Eines der Hausmädchen dort erzählte einem unserer Mädchen, er habe nicht ein einziges Wort gesprochen, als er eintraf. Das gesamte Hauspersonal sowie die bei ihm in Lohn und Brot stehenden Bauern und ihre Familien waren zu seiner Begrüßung gekommen. Doch er ging einfach ins Haus und gab die Anordnung, die Leute sollten an ihre Arbeit zurückkehren.“
Edwina schürzte die Lippen. „Aber, Mistress Coffey, er ist einer der reichsten Männer Englands. Da ist es doch sein gutes Recht, sich so zu verhalten.“
„Sein Recht?“ Bethany bedachte Edwina mit einem vernichtenden Blick. „Papa hat diese Einstellung immer den Fluch der Reichen genannt. Statt sich verantwortlich zu fühlen für die, die vom Schicksal weniger günstig bedacht wurden, denken diese Leute, die Welt müsse sich jedem ihrer Wünsche beugen.“
„Und wer wollte ihnen dieses Recht streitig machen?“ Edwina stieß einen sehnsüchtigen Seufzer aus. „Ich hoffe inständig, eines Tages so reich wie eine Königin zu sein. Und ich werde von jedem Menschen erwarten, dass er sich vor mir verneigt.“
„Na, das ist ja in der Tat ein sehr nobles Lebensziel.“ Bethany schauderte bei dem Gedanken daran, dass sie die Heimfahrt mit dieser frivolen Person gemeinsam zurücklegen musste. „Es würde mich schon interessieren, zu erfahren, warum der Earl nach Cornwall zurückgekehrt ist, wenn er doch nicht die Absicht hat, sich wie ein zivilisierter Gentleman zu benehmen.“
„Nun, er versteckt sich hier auf dem Land, weil er in London nicht mehr erwünscht ist.“ Edwina lächelte geheimnisvoll.
„Aber warum sollte ein vermögender Mann wie er sich verstecken wollen?“
„Vielleicht hat er Spielschulden“, vermutete Mistress Coffey.
„Nein, nein, es ist viel schlimmer. Sein Vater wurde auf grausame Art ermordet, und der Sohn wurde als Täter ins Fleet Prison geworfen.“
Die beiden älteren Frauen schnappten entsetzt nach Luft, während Bethany sich unbeeindruckt gab.
„Nun ist er auf freiem Fuß, aber niemand wurde an seiner Stelle angeklagt. Und wer hat durch den Tod des alten Earls am meisten zu gewinnen?“
„Willst du etwa behaupten, er habe seinen Vater aus Habgier
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