HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
demütigen, befriedigen?“
„Es liegt mir fern, dir Schwierigkeiten bereiten zu wollen, Oswald. Aber ich will, dass du endlich Verantwortung für dein Leben übernimmst.“ Kane lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Dein Problem ist nicht Geldmangel, sondern der Mangel an charakterlicher Stärke.“
„Siehst du? Schon wieder eine deiner Belehrungen. Ich kam hierher, um mir Gold zu holen, und bekomme leere Worte angeboten.“
„Leer“, erwiderte Kane ungerührt, „sind sie nur für den, der sie nicht beherzigen will.“ Er öffnete eine Schublade und zog einen Bogen Papier hervor. Oswald sah mit unverhohlener Gier zu, wie sein Vetter einige Zeilen schrieb.
„Hier“, sagte Kane schließlich und reichte dem anderen das zusammengefaltete Schriftstück. „Damit kannst du zu der Bank in Land’s End gehen. Der Mann dort kennt mich gut und wird dir die Summe von tausend Pfund auszahlen.“
Bevor Oswald das Papier an sich riss, merkte Kane noch an: „Ich kann dir eines versichern, Oswald: Wenn du Earl of Alsmeeth wärest, würde ich das hier nicht von dir annehmen. Auch wäre ich nicht bedürftig in der Weise, wie du es ständig bist. Ich wäre in London und würde Tag und Nacht daran arbeiten, meine Besitztümer profitabel zu machen.“
„Und du wärest immer noch der unzufriedenste und einsamste Mensch in ganz England“, versetzte Oswald böse. Er erhob sich und schlenderte zur Tür. Im Hinausgehen warf er Kane noch eine letzte verletzende Bemerkung zu. „Ich wette, dass all dein Gold dir nicht annähernd so viel Wärme geben kann, wie die bezaubernden Jungfrauen von Land’s End sie mir freiwillig verschaffen.“
Mistress Dove kam in den Salon. Unablässig fingerte sie am Saum ihrer Schürze herum, ein Zeichen ihrer dauernden Unruhe, die Bethany nun schon kannte. „Seine Lordschaft wird Sie jetzt empfangen, Miss Lambert.“
Huntley geleitete sie abermals nach oben in die Bibliothek und kündete ihr Eintreffen an. „Miss Lambert ist jetzt hier, Mylord.“
Kane, der wie üblich hinter seinem wuchtigen Schreibtisch saß, war noch immer erregt und zornig nach dem Besuch seines Vetters. „Habe ich etwa gesehen, dass Miss Lambert die Kutsche gelenkt hat?“
„Ja, das haben Mylord richtig erkannt.“ Der ältere Mann spürte, wie ihm die Röte in die sonst so bleichen Wangen stieg. „Ich konnte sie nicht davon abhalten, Sir. Sie hat … einfach die Zügel genommen. Ich war gezwungen, sie gewähren zu lassen.“
Kanes Züge entspannten sich ein wenig. „Ich hätte mir denken können, dass du dieses Verhalten nicht gutheißen würdest, Huntley. Die junge Dame scheint ein wenig eigenwillig zu sein. Sie soll hereinkommen.“
„Sehr wohl, Mylord.“ Erleichtert trat Huntley einen Schritt beiseite, und Bethany ging an ihm vorbei in den Raum.
Kanes Hund beobachtete sie wachsam, knurrte jedoch nicht.
„Guten Morgen, Miss Lambert. Möchten Sie einen Tee trinken?“
„Guten Morgen, Mylord. Nein, danke, ich hatte bereits unten im Salon Tee, während ich darauf wartete, zu Ihnen geführt zu werden. Vielleicht trinke ich später noch ein wenig. Haben Sie heute schon nach draußen geschaut?“
„Warum sollte ich?“
„Einfach nur, um den Tag zu bewundern. Die Sonne scheint. Die Luft ist mild und warm. Newton würde sagen, es ist ein Tag, den der Himmel zum Segeln geschaffen hat.“
„Ach, das würde er sagen?“ Kane legte die Feder, mit der er geschrieben hatte, beiseite und sah Bethany aufmerksam an. Die ganze Nacht hatte er an sie denken müssen. Wie sie in die Bibliothek gestürmt kam, die Wangen vom Laufen sanft gerötet, in den Armen Rosen in Hülle und Fülle. Und nun war Bethany hier. Ihre Haare waren windzerzaust, ihre Augen leuchteten. Sie sah so frisch und sauber und unvorstellbar süß aus.
Kane fiel auf, dass sie die erste Frau in seinem Leben war, die ihn nicht mit ihrer Kleidung beeindrucken wollte. Und dadurch hatte sie ihn umso stärker beeindruckt. Ihre rote Haarpracht, gebändigt durch Bänder und Spangen, und das züchtig bis zum Hals hochgeknöpfte einfache Hemd zu einem dunklen Rock entzückten ihn. Nicht einmal die schlichte Aufmachung in den bescheidenen Kleidern konnte darüber hinwegtäuschen, dass sich darunter ein begehrenswerter Körper verbarg.
Es wäre so angenehm, einen ganzen Tag in ihrer bezaubernden Gesellschaft zu verbringen. Ihrer sanften, unbekümmerten Stimme zu lauschen, mit der sie seine düsteren Empfindungen linderte. Doch da gab es die Bücher, die
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