HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
Geburtstagsgeschenk bekommen, als Bethany zehn Jahre alt geworden war. Sie und die Stute waren beinahe unzertrennlich.
„Warum darf ich nicht wie James zum Segeln gehen?“, hatte sie damals gefragt.
„Weil das für meine Tochter zu gefährlich ist“, lautete die Antwort des Vaters.
„Und für deinen Sohn etwa nicht?“
„Doch, das Meer ist für jeden gefährlich, Bethany. Aber James ist nun mal … James. Er ist fest entschlossen, in meine Fußstapfen zu treten.“
„Und deswegen bist du unbändig stolz auf ihn.“
„Ja.“
„Und warum darf ich dann nicht das Gleiche tun, Papa?“
Charles Lambert seufzte tief auf. „Ich weiß, dass du dich unbeschreiblich danach sehnst, Bethany. Aber ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter unter rauen, hartgesottenen Matrosen lebt und arbeitet. Und um dir die Enttäuschung ein wenig zu erleichtern, habe ich dir das hier mitgebracht.“ Er führte sie nach draußen, wo Newton eine Stute, kaum älter als ein Jahr, am Zügel hielt.
„Sie heißt Lacey“, sagte Charles Lambert. „Ich habe sie von einem Farmer in Bretton gekauft, weil sie mich an dich erinnerte. Diese stolze Haltung, dazu das rötliche Fell.“ Er lächelte. „Ich musste sie einfach auf der Undaunted hierherbringen. So hat sie eine Ahnung vom Leben auf See bekommen, das du so gern führen würdest. Wann immer du genug von uns allen haben magst, Bethany, reite mit Lacey ans Wasser. Und wann immer du am Strand entlanggaloppierst, denke an mich und meine Worte.“
Bethany war ihrem Vater um den Hals gefallen und hatte vor Freude geweint. Und dann hatte sie sich auf Laceys Rücken geschwungen und selig Stunde um Stunde mit dem Pferd am Strand verbracht.
Als sie jetzt aufsaß und Lacey aus dem Stall lenkte, schaute sie zum nachtblauen Himmel und dachte an ihren Vater, der durch die Hand grausamer Piraten zu Tode gekommen war. Genauso wie sein Sohn James. Der Verlust dieser beiden Menschen hatte das Leben der Lambert-Schwestern für alle Zeit grundlegend verändert.
Mit des Königs Segen setzten sie die Tradition von Vater und Bruder fort und segelten die Undaunted sowohl als Fracht- als auch Freibeuterschiff im Dienste von König Charles. Sie verdienten genug, solange die Undaunted seetüchtig war. Die Speise- und Vorratskammern in Mary Castle waren wohlgefüllt, und die Bediensteten wurden regelmäßig bezahlt. Großvater, Winnie und Mistress Coffey brauchten keine Angst vor dem Alter zu haben. Für sie würde stets gut gesorgt sein.
Bethany vergrub die Hände in Laceys Mähne, als die Stute in einen immer schneller werdenden Trab fiel. Sie trieb sie in den Galopp und lachte laut auf vor Freude. Dieses Dahinpreschen war nach Bethanys Überzeugung gleich nach der Seefahrt das Schönste auf der Welt.
Tief beugte sie sich über den Hals der Stute und rief ihr anfeuernde Worte ins Ohr, während sie den Strand hinter sich ließen. Minuten später preschten sie einen Hügel hinauf und hielten kurz an, um neue Kraft für den nächsten Höhepunkt des wilden Ritts zu sammeln.
„Sieh nur, Lacey.“ Bethany schaute auf die Undaunted , die tief unten im Hafen vor Anker lag. In der Dunkelheit leuchteten die weißen Segel. „Das ist Papas Schiff. Damit bist du zu mir gekommen.“
Lacey stand ganz still, als ob sie jedes Wort verstünde.
„Und es wird Papas Schiff sein“, fuhr Bethany fort, „mit dem ich ferne Küsten ansteuern und von dort wieder sicher nach Hause zurückkehren werde.“ Sie strich der Stute über den Hals. „Dir fehlt das Wasser, altes Mädchen, stimmt’s? Mir auch. Na los, komm, wir werden ein kleines Bad nehmen.“
Und dann ging es in wildem Galopp den Hügel hinunter, über den Strand und hinein in die Brandung. Das Wasser spritzte in Fontänen hoch, als sie durch die seichten Untiefen stürmten.
Für Bethany war dies die beste Möglichkeit, sich von allen Belastungen, von allem Kummer zu befreien. Sie hätte noch Stunden so reiten können. Auf Laceys Rücken flog sie nur so dahin, und die tiefen Abdrücke, die die Stute auf dem weichen Untergrund hinterließ, wurden noch im selben Moment von den sanft anrollenden Wellen hinweggespült.
Plötzlich, ohne die geringste Vorwarnung, blieb Lacey stehen, sodass Bethany beinahe kopfüber über Laceys Rücken zu Boden gestürzt wäre. Nur ihrer Geistesgegenwart und ihrem reiterischen Können war es zu verdanken, dass sie sich gerade noch auf dem Rücken des Pferdes halten konnte.
Keinen Meter von ihnen entfernt stand ein Reiter,
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