HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
Augen trat ein Ausdruck tiefer Traurigkeit, den Bethany schon zuvor an ihm entdeckt hatte. Was mochte ihn quälen? Welche Last ruhte auf seinen Schultern? Dachte er an die Zeit, die er im Gefängnis verbracht hatte? Trauerte er um Vater und Braut?
Bethany fiel ein, was Edwina Cannon über ihn erzählt hatte. Doch inzwischen glaubte sie weniger denn je, dass diese Gerüchte der Wahrheit entsprachen. Obwohl Kane sich oftmals überheblich und eingebildet, temperamentvoll und willensstark zeigte, konnte sie sich doch wirklich nicht vorstellen, dass er sich seiner Braut gegenüber als Rohling gebärdet hatte. Es musste andere Erklärungen geben für das, was geschehen war. Wenn die Ereignisse denn tatsächlich so passiert waren, wie Edwina behauptete.
Bethany schüttelte diese Gedanken ab. In wenigen Tagen würden die Waldarbeiter genügend Holz geschlagen haben, und dann würde sie keine Gelegenheit mehr haben, den Earl of Alsmeeth zu sehen. Unwillig verdrängte sie den kleinen schmerzhaften Stich in ihrem Innern. War sie etwa enttäuscht? Ach wo, warum denn auch? Der Earl und sie lebten in ganz verschiedenen Welten. Hatte er nicht sogar selbst gesagt, dass Bethany lediglich hier sei, um ihm Unterhaltung und Zerstreuung zu bieten?
Tief atmete sie den Duft der Rosen ein. „Als Quinlan mir von den Rosen Ihrer Mutter erzählte, musste ich an meine eigene Mutter denken“, erzählte sie. Ihr war klar, dass Kane nicht auf das letzte Gespräch zurückkommen würde. „Sie liebte Rosen, hat aber nie versucht, selbst welche zu züchten. Sie meinte immer, dass die Stürme und die salzige Seeluft hier am Atlantik nur die robusteren Blumensorten gedeihen ließen.“
Kane streckte die Hand aus und berührte eine Strähne ihres Haars, die sich aus dem Knoten im Nacken gelöst hatte. Sie fühlte sich so unglaublich seidig an. „Ihre Mutter brauchte die Rosen nicht, Miss Lambert“, erklärte er mit sanfter Stimme. „Sie hinterließ etwas von viel größerem Wert.“
Ob er wusste, was er mit seiner Berührung anrichtete?
Offenbar nicht, denn er legte ihr ein kleines Stück Pastete auf den Teller. „Sie müssen wenigstens davon kosten, weil sonst Mistress Dove ganz traurig sein wird.“
„Und das wollen wir auf keinen Fall.“ Bethany hatte sich wieder gefangen und aß gehorsam von der Pastete. Anschließend trank sie ihren Tee aus und deutete auf die Ruinen, die sie am Morgen besichtigt hatte. „Ich fand sie äußerst beeindruckend. Können Sie mir Näheres darüber erzählen?“
Plötzlich war das Lächeln in seinem Gesicht verschwunden. Schroff erwiderte Kane: „Vielleicht irgendwann einmal. Jetzt muss ich zurück an meine Arbeit.“
Später am Nachmittag ließ Kane Bethany zu sich rufen. Bei ihrem Eintreten in die Bibliothek wandte er sich vom Balkon, wo er gestanden hatte, zu ihr um. „Ihr Wagen und Kutscher sind da, Miss Lambert.“
„Dann wünsche ich Mylord noch einen schönen Tag.“ Bethany wandte sich zum Gehen.
„Danke, gleichfalls. Werden Sie heute Abend ausreiten?“, wollte er noch wissen.
„Möglicherweise.“
„Am Strand in der Nähe von Mary Castle?“
Bethany wunderte sich über Kanes drängenden Tonfall. „Ja, gewiss. Wie immer am Strand.“ Als er sich daraufhin in Schweigen hüllte, kehrte sie ihm den Rücken zu und begab sich nach unten.
In der Kutsche saß sie kerzengerade und schaute kein einziges Mal zurück. Während Newton das Gespann zu einem leichten Trab antrieb, konnte sie sich aber nicht des seltsamen Gefühls erwehren, dass Kane Preston noch immer dort stand, wo sie ihn verlassen hatte, und sie von dort aus beobachtete.
6. KAPITEL
Es war empfindlich kühl geworden, doch die See war vollkommen ruhig. Wolkenfetzen jagten über den Himmel und verdunkelten gelegentlich die Sicht auf den Vollmond.
Bethany trug jetzt ein altes Kleid, das sie eigentlich schon längst abgelegt hatte. Das Oberteil saß ziemlich eng und knapp, und die Ärmel waren um die Handgelenke herum teilweise ausgefranst. Doch das war Bethany nur recht, denn sie würde am Strand entlangreiten, und zwar ohne Sattelzeug. Da konnte es durchaus geschehen, dass ihr Pferd Sand oder Schlamm aufwirbelte und die Reiterin damit bespritzte.
Sie verließ das Haus durch die Hintertür und schlich zum Stall. „Hallo, mein Mädchen“, raunte sie ihrer Stute zu und fütterte sie mit einer Karotte. „Komm, wir machen einen Ausritt. Nur wir beide.“
Das Pferd spitzte erwartungsvoll die Ohren. Lacey hatte sie als
Weitere Kostenlose Bücher