HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
lächelte. „Ich will Sie nicht auf die Folter spannen. Schon bald werden Sie sehen, was ich mit meinen geheimnisvollen Antworten meine.“ Jetzt rollte die Kutsche an der uralten Dorfkirche vorbei, und Bethany sah, wie sich Ians Interesse verlagerte.
„Was ist das?“
„Die Kirche von Mead. Sie ist schon so lange ohne einen Pfarrer, der sich um die Instandhaltung kümmert, dass sie kurz vor dem Einsturz steht.“
Er schaute an der Kirche vorbei, den schmalen Pfad entlang zu dem alten Pfarrhaus. „Aber das kann doch nicht sein“, widersprach er. „Ich sehe, dass offenbar jemand in dem Pfarrhaus wohnt.“
„Ja, meine Freunde.“ Sie zog die Zügel an, sodass das Pferd stehen blieb, und hörte Rufe von drinnen.
Kurz darauf wurde die Tür aufgerissen, und die Kinder stürmten heraus, dicht gefolgt von Jenna Pike.
„Miss Lambert!“ Die junge Frau wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab. Offensichtlich war sie gerade beim Brotbacken, denn auf ihren Wangen und der Nase waren Mehlspuren zu sehen. Winzige Löckchen hatten sich aus dem im Nacken geschlungenen Knoten gelöst und umschmeichelten ihr Gesicht.
„Miss Pike.“ Bethany kletterte vom Wagen und war auf der Stelle von Kindern umgeben, die sich drängelten, um auch ja von ihr begrüßt zu werden. Sie umarmte und herzte jedes einzelne von ihnen, bevor sie den jungen Mann vorstellte, der mit ihr gekommen war. „Ich möchte, dass Sie Diakon Ian Welland kennenlernen. Ian, das ist Miss Jenna Pike.“
Er kletterte ebenfalls von dem Einspänner herunter und reichte Jenna die Hand. Dann schaute er zu den Kindern, die auf die Ladefläche des Wagens geklettert waren und aufgeregt die Pakete betrachteten. „Sind das alles Ihre Kinder?“
„Ja.“
„Aber das ist unmöglich. Sie sind doch kaum älter als zehn und sechs Jahre.“
Miss Pike lachte. „Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich bin fast einundzwanzig Jahre alt, und die Kinder sind meine, obwohl nicht von ihrer Geburt her. Dieses hier ist das Mead Findlingsheim. Meine Mutter hat es gegründet, und gegenwärtig bin ich die Leiterin.“
Ian Welland nahm seinen Irrtum mit Humor und lächelte freundlich.
Jenna drehte sich zu den Kindern um und klatschte in die Hände. „Also, ihr Lieben. Wo bleiben eure guten Manieren?“
„Aber schauen Sie doch nur.“ Noah hob einen Eimer hoch, der bis zum Rand mit Fischen gefüllt war. „Das sind so viele, dass ich sie kaum zählen kann.“
Bethany lachte. „Meine Schwester und ich haben sie heute Morgen frisch gefangen. Daraus lässt sich bestimmt ein schmackhaftes Abendessen zubereiten. Und unsere Haushälterin hat mir einige Gläser Früchtezubereitung mitgegeben sowie Brotpudding. Miss Mellon ist dabei, für jeden ein Wams zu stricken. Fünf hat sie schon fertig, die ich mitgebracht habe, und sie lässt ausrichten, dass sich niemand Sorgen machen muss. Auch die restlichen Wämser werden rechtzeitig vor Beginn der kalten Winterstürme fertig sein.“
„O Miss Lambert!“ Jenna griff nach Bethanys Hand. „Ich finde, Sie sind uns allen eine so gute Freundin geworden, dass wir die förmliche Anrede vergessen sollten. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie einfach Bethany nenne?“
„Nein, das würde mir sogar sehr gut gefallen. Und ich nenne Sie Jenna.“
„Bethany, wie können wir dir nur jemals genug danken?“
„Ich will keine Dankbarkeit“, erwiderte Bethany. „Ich möchte nur die Gesichter der Kinder beobachten, wenn sie sehen, was ich sonst noch mitgebracht habe.“
„Was denn? Was denn?“ Die Kinder tanzten aufgeregt um sie herum, und Bethany lachte wieder fröhlich. „Nun gut, ich bringe es nicht übers Herz, euch noch länger warten zu lassen“, gab sie nach. Sie deutete auf ein geheimnisvoll anmutendes Paket, das in Decken und ein altes Segel eingewickelt war. „Lasst uns das nach drinnen tragen, und dann könnt ihr euch vielleicht reihum am Auspacken beteiligen.“
Mit vereinten Kräften schleppten die Kinder das unförmige Paket ins Haus. Die Erwachsenen folgten ihnen. Ian Welland fielen dabei die blitzblank geputzten Fenster und die frisch gewischten Fußböden, auf denen handgewebte bunte Teppiche lagen, auf.
„Bitte, setzt euch doch hin.“ Jenna Pike brühte Tee auf und stellte frisches Brot sowie Marmelade auf den großen hölzernen Tisch. Als die Erwachsenen sich hingesetzt hatten, hielten sich die größeren Kinder ein wenig im Hintergrund und ließen die Kleinsten das seltsame Paket auspacken.
Als das Geschenk
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