HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
hingelegt hast.“ Ambrosia sah ihren Gemahl an, der zustimmend nickte.
„Ich … denke, ich werde schlafen können.“ Darcy reichte der Haushälterin das leere Glas und kam nur mit Mühe wieder auf die Beine.
Sogleich legte Ambrosia einen Arm um ihre Schwester und ging mit ihr zur Treppe. Während sie die Stufen zum zweiten Stock erklommen, strich Ambrosia Darcy über die Wange. „Du hast einen furchtbaren Schock erlitten. Kein Wunder, dass dein Geist dir Dinge vorgaukelt.“
Darcy war im Begriff, zu widersprechen, doch sie hielt sich zurück. Es gab keinen Grund, die anderen zu verstimmen und unnötig aufzuregen.
„Wenn du magst …“, Ambrosia blieb vor dem Gemach ihrer Schwester stehen, „komme ich eine Weile mit herein, und wir könnten reden. Oder vielleicht möchtest du gerne, dass ich die Nacht über bei dir bleibe. Wir könnten zusammen in einem Bett schlafen, wie früher, als wir noch klein waren und eine von uns Angst hatte.“
„Nein.“ Darcy schaute an ihr vorbei und sah Riordan Spencer an. „Du hast jetzt deinen Gemahl.“
„Es macht Riordan nichts aus …“
Darcy schüttelte den Kopf. „Ich bin sehr müde. Ich werde schlafen.“
„Bist du sicher?“ „Ja.“ Sie hauchte einen Kuss auf die Wange ihrer Schwester. „Aber hab Dank für dein Angebot. Gute Nacht.“
Sie betrat ihr Gemach und schloss die Tür. Dann lehnte sie mit dem Rücken an der Tür und lauschte, wie die Schritte im Korridor verhallten. Als die anderen im Hause sich zur Ruhe begeben hatten, trat sie an das große Fenster, das zur Seeseite hinausging, kniete sich hin und stützte die Arme auf dem breiten Sims ab.
Darcy wusste, dass in dieser Nacht nicht an Schlaf zu denken war. Sie musste wach bleiben und achtgeben, falls Gray wieder nach ihr rief.
Das Kinn auf die Hände gestützt, sah sie angestrengt in die Dunkelheit und hoffte, ein Stück eines weißen Segels zu erblicken.
War sie dem Wahnsinn nahe? Leugnete sie die Wahrheit beharrlich? War das die Art und Weise, wie andere Leute mit dem Verlust eines Seelenverwandten umgingen?
„O Gray.“ Sie fühlte, wie die Tränen in ihren Augen brannten, doch sie blinzelte rasch und begann zu schlucken, da ihr die Kehle wie zugeschnürt war. Sie durfte ihren Tränen keinen freien Lauf lassen. Gäbe sie dieser Schwäche nach, so wäre ihr letztes bisschen Selbstbeherrschung dahin. Verbissen kämpfte sie gegen die Schluchzer an. „Gray, wie soll ich ohne dich leben? Ich kann es nicht ertragen. Oh, ich kann mir keine Zukunft ohne dich vorstellen.“
Sie hielt sich eine Hand an den Bauch und kämpfte gegen die plötzliche Übelkeit an, die sie geschwächt auf dem harten Holzboden niedersinken ließ. Ihr Leib war von kaltem Schweiß bedeckt. Es pochte in ihrem Kopf, und der Hals tat ihr weh von all der Anstrengung, keine Tränen zu vergießen. Erst nach langer Zeit fiel sie in einen tiefen Schlaf, der angefüllt war mit Bildern eines brennenden Schiffes, das langsam in den aufgeworfenen, schwarzen Wogen des Atlantiks versank.
„Darcy?“ Die alte Miss Mellon schlich in das Gemach und erschrak, als sie die junge Frau zusammengekrümmt unter dem Fenster liegen sah.
„Ja?“ Darcy hob den Kopf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das ihr wirr ins Gesicht hing. Ein bleiches und gequältes Gesicht.
Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, und leuchtende Strahlen fielen durch das Fenster.
„Wir haben dich nicht zur Sonntagsmesse geweckt, da wir es für besser hielten, dich schlafen zu lassen.“
„Hab Dank, Winnie. Ich …“ Darcy schaute sich um und machte sich bewusst, dass sie die Nacht auf dem Fußboden verbracht hatte. „Das war nett von dir.“
„Vikar Thatcher Goodwin hat der Gemeinde die Nachricht überbracht. Er hat die Absicht, heute Abend einen Gedenkgottesdienst für all die Männer aus dem Dorf abzuhalten, die an Bord der Carrington dienten und auf See geblieben sind.“
Als Darcy nichts erwiderte, holte die alte Frau tief Luft. „Du musst an der Messe teilnehmen, mein Kind.“
Doch Darcy schüttelte entschieden den Kopf. „Wenn ich das täte, würde ich zugeben, dass Gray …“
„Das verstehe ich. Aber die anderen in Land’s End werden es nicht begreifen. Sie wissen seit Langem, dass du und Gray …“, sie wählte ihre Worte mit Bedacht, „… vorhattet, euer Leben gemeinsam zu verbringen. Wenn du dem Gottesdienst fernbleibst, werden sie denken, dass dir nicht viel an der Teilnahme liegt.“
Darcy seufzte. „Es kümmert mich nicht, was
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