HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
dem großen Söller zugebracht und ziellos in die Ferne gestarrt. Doch jetzt, da der Winter gekommen war, hatte sie sich stets in ihr Gemach begeben, um stundenlang aus dem Fenster zu starren.
Bethanys Gemahl, der Earl of Alsmeeth, wandte sich an Ambrosias Mann. „Wie geht es mit dem Haus voran, Riordan?“
„Die Handwerker leisten treffliche Arbeit. Ambrosia und ich hoffen, dass wir sogar noch vor dem Frühling einziehen können.“ Riordan nahm einen Schluck Ale. „Ich würde mich freuen. Doch das bedeutet, dass ich ein verlockendes Angebot verpasse, Waren von Schottland nach Wales zu transportieren.“
„Ah, nun“, lächelte Geoffrey Lambert. „Wenn die Winterwinde heulen, wirst du froh sein, mit deiner Gemahlin am Feuer sitzen zu können. Und ich bin sicher, Ambrosia wird glücklicher sein, wenn sie dich bei sich zu Hause weiß.“
„Fürwahr.“ Riordan lächelte seine Gemahlin an. „Deshalb bat ich den Hafenmeister, den Kapitän eines anderen Schiffes für den Auftrag zu suchen.“
Bei diesen Worten schaute Darcy auf. „Hat er schon jemanden gefunden?“
Riordan zuckte mit den Schultern. „Das bezweifele ich. Ich habe die Anweisung erst heute erteilt.“
„Dann möchte ich den Auftrag übernehmen.“
Verwundert sahen die anderen sie an.
Geoffrey Lambert räusperte sich. „Die Fahrt geht nicht zu einer exotischen Insel, Mädchen, wo das ganze Jahr die Sonne scheint. Wir reden davon, die Gewässer vor Schottland und Wales im tiefen Winter zu befahren. Schwere Stürme wüten dort und …“
„Ich weiß, Großvater. Aber ich möchte es trotzdem tun“, setzte sie beharrlich nach.
„Vielleicht. Doch wo willst du eine Mannschaft auftreiben, die um diese Zeit bereitwillig an Bord geht?“
„Es gibt Seeleute im Dorf, die geradezu um Arbeit betteln.“
„Ich nehme an, du würdest genug Leute finden, um die Un daunted zu bemannen. Aber wie steht es mit dem Ersten Offizier?“
Darcy drehte den Kopf zur Seite. „Würdest du mit mir segeln, Newt, als mein Erster Offizier?“
Der alte Mann dachte an die Winter zurück, als er noch jung gewesen war und gegen Wellen angekämpft hatte, die höher als Berge gewesen waren. Er erinnerte sich an Kameraden, die kein Gefühl mehr in ihren Händen und Füßen gehabt hatten und vor Erschöpfung in die schwarzen Wogen gestürzt waren. Und dann dachte er an die Annehmlichkeiten von Mary Castle im Winter, an die gemütlichen, mit Holz beheizten Räume, die vom wundervollen Duft frisch gebackenen Brotes und köstlicher Suppen erfüllt waren. Nach einem Glas Ale im Wirtshaus freute er sich immer auf sein warmes Bett, und er wusste, dass ihn am nächsten Morgen keine schweren Aufgaben erwarteten, außer dann und wann die Pferde vor einen Schlitten zu spannen.
Jetzt sah er in diese hoffnungsvollen blauen Augen – und er wusste, dass er Darcy nie etwas würde abschlagen können.
„Ja, Mädchen. Wenn du mich an Bord haben willst, werde ich da sein.“
Darcy legte die Hand auf seine. „Hab Dank.“ Sie schaute die anderen an. „Ich möchte es wirklich tun. Ich muss einfach. Versteht ihr mich?“
Einer nach dem anderen nickte, dann sahen sie betroffen zur Seite. Der Schmerz zeichnete sich immer noch scharf auf Darcys Gesicht ab. Ein Schmerz, der all ihre Herzen ergriffen hatte.
„So ist es also abgemacht. Bei Sonnenaufgang werde ich zum Dorf gehen und dem Hafenmeister mitteilen, dass ich den Auftrag übernehme. Newt und ich werden eine Mannschaft anheuern.“ Sie erhob sich, ging langsam um den Tisch und hauchte Küsse auf die Wangen ihrer Familienangehörigen, bevor sie die Stufen zu ihrem Schlafgemach hinaufeilte.
Sie hatte einen Weg gefunden, um Gray näher zu sein. Auch wenn es lediglich bedeutete, dass sie an seiner ewigen Ruhestätte vorbeifahren würde. Denn obgleich sie seinen Tod noch nicht akzeptiert hatte, begann ihre Hoffnung zu schwinden. Wenn er am Leben geblieben wäre, hätte er eine Möglichkeit gefunden, ihr eine Nachricht zukommen zu lassen. Und daher war dies alles, was sie nun für ihn tun konnte. Doch zumindest war es besser, als zu Hause herumzusitzen und ihren Verlust zu beklagen.
Zum ersten Mal seit Wochen schlief sie tief und fest.
Auf See herrschte eine beißende Kälte, und die Luft brannte in den Lungen der Matrosen, die sich an Deck aufhalten mussten. Zu allem Unglück setzte auch noch ein Eisregen ein, der sich wie Klauen in die Haut bohrte und alle sehnsuchtsvoll an den heimatlichen Herd denken ließ.
Hoch oben aus der
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