HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
Newton plauderte mit Captain Fletcher, der sich nach der Undaunted und betont beiläufig auch nach dem ungewöhnlichen Kapitän erkundigte.
„Lass uns doch einen Blick auf das Dorf werfen, Mama“, hörte Darcy Alicia sagen. „Das ist gewiss aufregender, als den ganzen Tag auf diesem entsetzlich langweiligen Schiff zu sitzen.“
„Das schickt sich nicht, Alicia“, entgegnete Lady Sterlyng empört, und Darcy musste an Mistress Coffey und ihr altes Kindermädchen denken. Wie gerne hätten die beiden Frauen die Lambert-Töchter in solch edlen Gewändern gesehen, anstatt sie in Männerkleidung auf hoher See zu wissen. Sie lächelte. Zumindest Ambrosia und Bethany waren ja inzwischen sesshaft geworden.
„Ach, Mama, bitte“, drängte die junge Dame und schaute ihre Mutter flehentlich von der Seite an.
„Ich muss Ihrer Mutter recht geben, Mylady“, schaltete Darcy sich ein und ging nun neben Alicia her. „In den Hafenvierteln trifft man auf allerhand üble Gesellen.“
„Ihr scheint Euch ja sehr gut auszukennen, Captain“, merkte Lady Sterlyng spitz an und zog ihre Tochter ein wenig näher zu sich. „Die Wirtshäuser überlassen wir lieber Euch und Eurer Mannschaft. Was sagt eigentlich Eure Frau Mutter dazu, dass Ihr Euch hier unter all den Männern herumtreibt, so jung wie Ihr seid?“
Darcy kannte das arrogante Gehabe der feinen Londoner Gesellschaft mit ihrem Prunk und den livrierten Lakaien, die man ungeniert herumkommandieren konnte. Von diesen hohen Herrschaften würde sie sich nicht provozieren lassen. „Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen, Mylady. Ich segle nicht zum ersten Mal.“
„Ist das so?“ Lady Sterlyng bedachte sie mit einem kurzen, abschätzigen Blick und fächelte sich trotz der frischen Brise Luft zu, als stünde sie in einem Londoner Salon mit überreichlich parfümierten Hofdamen.
„Constance, meine Teure“, mischte sich der Earl ein und wandte sich zu seiner Gemahlin um. „Gehen wir ruhig ein paar Schritte in den Ort hinein, damit unsere Alicia auch begreift, wie es in einem Hafenviertel zugeht. Sie wird rasch einsehen, dass die Leute dort nicht im Entferntesten unserem Stand entsprechen.“
„Aber, Richard!“, empörte sich Lady Sterlyng. „Was redest du denn da?“
„Nur ein kurzer Gang, meine Liebe. Alicia wird es recht bald vorziehen, lieber das Angebot des Hafenmeisters anzunehmen, als sich mit der Halbwelt dieses Ortes abzugeben.“
Alicia strahlte ihren Vater an, der seiner Tochter offenbar nichts abschlagen konnte. „Und wenn wir belästigt werden, Richard?“, fragte Lady Sterlyng.
„Ich bin der Earl of Sterlyng, meine Liebe“, erwiderte ihr Gemahl mit bedeutungsvoller Stimme. „Sollte uns jemand zu nahe treten, werde ich ihn zurechtweisen.“
Das Ehepaar einigte sich schließlich darauf, lediglich die am Hafen liegende Straße ein paar Schritte hinaufzugehen, um dann beim Hafenmeister und seiner Frau einzukehren. Newton schaute den feinen Herrschaften kopfschüttelnd nach, und der Hafenmeister war bereits davongeeilt, um seiner Frau die Ankunft des hohen Besuchs anzukündigen.
Darcy und Newton sahen, wie die drei Reisenden sich langsam entfernten, und gingen auf die Hafenschenke zu. Sie hatten kaum die Tür erreicht, als ein gellender Schrei an ihre Ohren drang. „Die Sterlyngs!“, rief Darcy und rannte augenblicklich in die Richtung, die der Earl und seine Familie eingeschlagen hatten.
Als sie um die Straßenecke bog, erfasste sie die Situation mit einem Blick. Vor einer dunklen Gasse hielt ein übel aussehender Geselle den Earl mit einer Pistole in Schach, während ein anderer dabei war, den Damen den Schmuck abzunehmen. Er war alles andere als zimperlich und packte die kreischenden Frauen hart an. Die Diebe beeilten sich, denn inzwischen schauten Leute aus den Fenstern und riefen um Hilfe.
Darcy musste schnell handeln. Blitzartig griff sie an ihren Gürtel und zückte ihr Messer. In diesem Augenblick sah der Schurke mit der Pistole sie auf sich zulaufen und richtete den Lauf der Waffe auf sie. Doch Darcy schleuderte das Messer so geschickt, dass der Unhold nicht mit der Klinge, sondern mit dem schweren Knauf an der Stirn getroffen wurde. Kraftlos sackte er in sich zusammen, während sein Kamerad auf der Stelle mit leeren Händen das Weite suchte.
Inzwischen waren weitere Leute herbeigeeilt und nahmen den Dieb in Gewahrsam, der den Earl bedroht hatte. Zwei Schankmägde kümmerten sich um die feinen Damen, die sich mit geröteten Wangen
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