HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
erreichte, fürchtete sie, jeden Augenblick zusammenzubrechen.
„Wer ist das?“ Mistress Coffey hörte ein Geräusch an der Haustür und schaute vom Tisch auf, wo sie gerade Tee eingoss.
Als sie Darcy erblickte, die über die Schwelle trat, verschüttete sie den Tee und musste die Kanne mit beiden Händen festhalten, damit sie nicht zu Boden fiel. „Oh, gütiger Himmel!“
Die anderen, die am Tischversammelt waren, folgten Mistress Coffeys Blick und stießen Rufe des Erstaunens aus.
„Darcy! Bist du das, Mädchen?“ Geoffrey Lambert stieß beinahe den Stuhl um, als er vom Tisch aufsprang.
„Aye, Großvater.“
„Wir haben gar nicht mit dir gerechnet.“ Bethany eilte zur Tür und drückte ihre kleine Schwester. „Warum hast du uns keine Nachricht zukommen lassen? Dann hätten wir Ausschau nach dir gehalten.“
„Dafür war keine Zeit.“
„Natürlich nicht.“ Ambrosia umarmte sie und küsste sie auf die Wange. „Als Seeleute wissen wir doch alle, dass es kaum Gelegenheiten für eine Nachricht gibt, wenn man gerade mitten auf dem Ozean ist. Wir …“
Sie hielt inne und sah an Darcy vorbei auf den Mann, der im Schatten blieb und etwas in den Armen trug.
Vor Erstaunen riss sie die Augen auf. „Gray! Schaut doch! Ist das nicht wundervoll?“ Sie wandte sich den anderen zu. „Seht nur, Großvater. Bethany. Es ist Gray. O Darcy. Kein Wunder, dass du wieder nach Hause gekommen bist. Du hast ihn gefunden. Wo? Wie?“ Ihre Stimme überschlug sich vor Freude.
Als die anderen sich um den Mann scharten, musste Darcy die Stimme heben, um sich in der Aufregung Gehör zu verschaffen. „Nein. Das ist nicht Gray. Sein Name ist Gryf. Er hat in Wales auf der Undaunted angeheuert. Und der Junge in seinen Armen heißt Whit. Er ist schwer verwundet.“
„Verwundet?“ Winifred Mellon drängte sich an den anderen vorbei und legte eine Hand auf die Stirn des Burschen. „Oh, gütiger Himmel. Er glüht ja.“
Darcy wandte sich an die Haushälterin. „Wir müssen ihn ins Bett bringen, Mistress Coffey.“
„In der Tat.“ Die Haushälterin nickte. „Komm, Libby“, rief sie der Dienstmagd zu. „Wir müssen Bethanys altes Zimmer herrichten.“
Als sie die breite Treppe hinaufging, folgten Gryf und die anderen ihr unverzüglich.
„Wie wurde der Junge verwundet?“, fragte Ambrosias Gemahl Riordan Spencer.
„Ein Degen traf ihn in die Brust.“
Bei diesen Worten verschlug es allen den Atem.
„Ich hoffe, du hast den Schurken erwischt, der dies getan hat“, sagte Bethanys Mann, Kane Preston, im Flüsterton.
Hinter ihm ging Noah, der Junge, den er und Bethany als ihren Sohn adoptiert hatten.
Kane drehte sich plötzlich um und ergriff die Hand des Jungen, als wäre ihm bewusst geworden, wie kostbar er war.
„Ja, Kane. Es war ein Pirat mit Namen Wylie York.“
„Ich habe von ihm gehört.“ Riordan Spencer tauschte einen Blick mit Geoffrey Lambert. „Einer der meistgehassten Piraten auf hoher See. Er und seine Schurken überfallen seit Jahren englische Schiffe.“
„Er wird sie nie mehr heimsuchen. Sein Leichnam liegt auf dem Meeresgrund, neben seiner Crew.“
„Ganz mein Mädchen.“ Geoffrey Lambert tätschelte Darcys Arm, als sie das Schlafgemach betraten. „Der König wird froh über diese Nachricht sein.“
„So wie jeder englische Schiffskapitän“, murmelte Riordan.
„Leg den Jungen hierher.“ Mistress Coffey schlug die Decke zurück und wartete, bis Gryf das kleine Bündel aufs Bett gelegt hatte. Dann hielt sie eine Kerze hoch, um den Jungen zu untersuchen. Beim Anblick seiner Brust hielt sie sich erschrocken die Hand auf den Mund.
Der kleine Oberkörper war in Leinen gehüllt. Dünne Rinnsale von Blut sickerten durch den Verband. Aus dem Gesicht des Jungen war jegliche Farbe gewichen. Er sah so bleich wie ein Leichnam aus.
„Wie kann jemand so etwas einem Kind antun? Was für ein Unmensch muss dieser Piratenkapitän gewesen sein“, sagte sie leise.
„Der schlimmste auf Erden, Mistress Coffey.“ Darcy strich Whit die Haarsträhnen aus der Stirn und senkte die Stimme. „Wylie York war Whits Vater, aber der Junge hat das bis zu jener letzten Begegnung nicht gewusst.“
Ambrosia erschauerte und legte den Kopf auf Riordans Schulter.
Bethany und ihr Gemahl verschränkten die Hände ineinander und drückten Noah an sich, als wollten sie ihn vor solch schrecklichen Ereignissen beschützen.
Geoffrey Lambert räusperte sich und musste mehrmals schlucken.
Die weichherzige Winifred
Weitere Kostenlose Bücher