HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
neue Tränen in die Augen. Doch sie blinzelte sie tapfer fort und klammerte sich an einen dünnen Faden der Hoffnung. Wenn ein unbeugsamer Geist ausreichte, um zu überleben, dann würde Whit es gewiss schaffen. Der Junge hatte so viel Schmerz erdulden und sich von so viel Kummer erholen müssen. Aber er hatte überlebt und weder sein Herz noch sein Lächeln verloren.
Wenn er doch nur ein Zeichen geben könnte, dachte sie, ob er weiß, dass wir alle da sind. Als sie sich mit Schrecken ausmalte, dass er sich in seinem Leiden womöglich ganz allein fühlte, spürte sie erneut einen Stich in ihrem Herzen.
Darcy schaute gar nicht auf, als sich wieder einmal die Zimmertür öffnete. Es waren so viele Familienmitglieder anwesend, dass der kleine Raum bereits voll war. Obwohl ihr dies ein wenig Trost verschaffte, wünschte sie sich, Whit könnte die Augen öffnen und sehen, wie viele Leute sich um ihn kümmerten.
Erst als sie Newtons unverkennbare Schritte vernahm, schaute sie zur Tür. Er durchschritt den Raum, wobei sein Blick einzig und allein auf den Jungen im Bett gerichtet war. In den Armen hielt er ein kleines, in eine Decke eingeschlagenes Bündel.
„Hat der Junge sich erholt?“, fragte er mit gedämpfter Stimme.
„Nein.“ Gryf schaute kurz zu ihm auf und wandte sich sogleich wieder seinem kleinen Freund zu.
„Leider befürchten wir“, flüsterte Mistress Coffey dem alten Seemann zu, „dass er es nicht schaffen wird. Das Fieber will einfach nicht sinken, obwohl Darcy sich so bemüht. Und er scheint in seiner eigenen Welt zu sein, wo er uns nicht länger hören kann.“
Bei den Worten der alten Frau fühlte Darcy, wie ihr Herz sich zusammenkrampfte. Seine eigene Welt. Wie gerne würde sie in diese Welt vordringen, die Whit in ihrem Bann hielt. Wenn sie doch nur einen Weg finden könnten, um ihn zurückzuholen. Um die Mauer zu überwinden, die ihn von seinen Freunden trennte.
„Was hast du mitgebracht, Newt?“ Darcy war verblüfft, wie schwer ihr das Sprechen fiel, denn vor Rührung drohte ihr die Stimme zu versagen.
„Den Welpen des Jungen.“
„ Furchtlos ?“ Ruckartig hob Darcy den Kopf. „Aber ist er nicht …? Ich dachte, er wäre …“
„Das dachte ich auch“, erwiderte der alte Seemann. „Aber er scheint ein Kämpfer zu sein. Wie der Junge.“
„Er lebt?“ Für einen Moment war Darcy sprachlos. „Warum hast du es uns nicht gesagt?“
Newton zuckte mit den Schultern. „Ich fürchtete, er würde es nicht schaffen, und ich wollte nicht, dass ihr euch vergebens Hoffnungen macht.“ Er trat an das Bett, nahm die Decke von dem flauschigen Tier und legte es neben Whit. „Allerdings weiß ich immer noch nicht, ob der Welpe es schafft. Er hat keinen Bissen gefressen, seit er von dem Jungen getrennt wurde. Aber ich dachte, die beiden sollten jetzt zusammen sein. Falls …“ Unsicher hob er die Schultern. „Ich dachte bloß, sie wären einander ein großer Trost.“
Er beugte sich hinab und legte die Hand des Jungen auf den Kopf des Welpen.
Bei der Berührung schnupperte der Hund, regte sich und öffnete die Augen. Als er Whit sah, versuchte Furchtlos , sich aufzurichten. Doch er war zu schwach, kuschelte sich stattdessen an seinen Freund und begann, ihm das Gesicht abzulecken.
Wenige Augenblicke später regte sich etwas hinter den geschlossenen Lidern des Jungen. Alle im Raum verstummten bei diesem Anblick. Während der Welpe weiter über Whits Gesicht leckte, öffnete der Junge plötzlich die Augen und stieß einen Seufzer aus, der aus der Tiefe seines Herzens zu kommen schien.
Mit der Hand strich er über das Fell des Hundes, dann ein zweites Mal, bevor ein zartes Lächeln seinen Mund umspielte. Er bewegte die Lippen, und obwohl kein Laut zu hören war, sah man, dass sie den Namen des Hundes formten.
Mistress Coffey stieß einen Schrei aus und legte die Hand auf den Mund, als sie den Raum mit Tränen in den Augen verließ. Geoffrey Lambert tröstete Miss Mellon, die in ihr Taschentuch weinte. Ambrosia und Riordan fielen einander in die Arme, lachten und weinten vor Freude, während Bethany und Kane sich küssten.
Darcy und Gryf standen steif neben dem Bett und blickten starr auf den Jungen. Sie waren auf das Schlimmste gefasst gewesen. Und jetzt, da ihre Befürchtungen sich zerstreut hatten, schienen sie nicht in der Lage zu sein, das Ausmaß ihres Glücks zu begreifen.
Offenbar war Newton der Einzige, der von dem Wunder, das sich vor seinen Augen abgespielt hatte, unberührt
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