HISTORICAL JUBILÄUM Band 03
Doch heute waren Riordans Küsse zärtlicher. Sie zeugten von gemeinsam erlittenem Schmerz, von der Trauer um Ambrosias Vater und Bruder. Und davon, dass Wunden heilen konnten. Aber auch von dem Gefühl, einander zu brauchen, was sie beide so lange geleugnet hatten.
„Du weißt, dass ich dich will, Ambrosia.“ Sacht umfasste er ihr Gesicht und begann, es mit kleinen Küssen zu bedecken.
„Und ich will … Ach, Riordan, ich weiß nicht, was ich will.“ Sie schloss die Augen. Wie sollte sie auch nur einen einzigen klaren Gedanken fassen, wenn er ihr ein derartiges Vergnügen bereitete. „Ich habe solche Gefühle noch niemals zuvor gehabt. Ich weiß nur, dass du nicht aufhören sollst mit dem, was du gerade tust.“
Er küsste Ambrosia auf den Hals, ließ die Lippen tiefer gleiten in die kleine Mulde und spürte, wie Ambrosia erschauerte.
Er konnte sie hier und jetzt haben, wenn er wollte! Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schock. Er konnte sie nehmen, doch er hatte kein Recht dazu. Sie war so süß und unschuldig. So rein und gut. Doch er …
Er hatte mit seiner Lebensführung Schande über seine Familie gebracht. Sein Leben bestand aus Geheimnissen. Aus dem Wissen um Geheimtreffen, um höchste Staatsgeheimnisse und, was am schlimmsten war, um Meuchelmorde. Er war ein Mann ohne Wurzeln. Ambrosia hingegen war fest verankert in ihrem Zuhause, in ihrer Familie und der Gemeinschaft von Land’s End.
„Geh jetzt nach unten, und versuch, ein wenig Schlaf zu finden.“
„Ich will dich jetzt nicht verlassen, Riordan.“
Sein Ton klang besonders schroff, als er hervorstieß: „Geh. Schnell. Bevor wir beide etwas tun, was wir später bitter bereuen.“
Widerstrebend wandte sie sich zum Gehen. „Gute Nacht, Riordan“, sagte sie leise und ging zu der Stelle, an der eine Leiter unter Deck führte. Dort drehte sie sich noch einmal um.
Riordan hatte die Hände ans Steuerrad gelegt. Diese Hände, mit denen er unbeschreibliches Verlangen in ihr entfachen konnte. Noch einmal atmete sie tief durch, bevor sie hinunterstieg. Sie würde ihn allein lassen. Allein mit seinen Gedanken, die so tief und unergründlich waren wie der nächtliche Himmel weit. Und so beunruhigend wie die Wolken, die sich in der Ferne über dem Atlantik zusammenballten.
12. KAPITEL
Riordan zog die Segel straff und warf verstohlen einen Blick hinüber zu Ambrosia, die soeben das Ruder von ihrem Großvater übernahm. Der alte Mann lächelte ihr liebevoll zu, bevor er unter einem tragbaren Baldachin in einem bequemen Stuhl Platz nahm. Sowohl die Haushälterin als auch die ehemalige Kinderfrau sahen so frisch und adrett aus, wie man es von ihnen in Mary Castle gewohnt war.
Es war ein wunderschöner Sommertag. Die Sonne strahlte vom wolkenlosen Himmel, und der Wind war gerade kräftig genug, um ein wenig Abkühlung zu bringen. Wenn es keine unvorhergesehenen Ereignisse gab, würden sie in zwei Tagen ihr Ziel erreicht haben.
Bewundernd streifte er mit Blicken Ambrosias Erscheinung, die ihn wie immer entzückte. Sie trug Matrosenkleidung und machte, wie sie da so ruhig stand und mit großer Sicherheit das Ruder in Händen hielt, den Eindruck eines Menschen, der für das Leben auf einem Schiff wie geschaffen schien.
„Schiff backbords, nähert sich mit voller Fahrt“, rief Bethany aus dem Ausguck.
Ambrosia ließ umgehend Newton zu sich kommen, der das Steuer übernahm. Eilig verschwanden sie und ihre Schwestern unter Deck.
Riordan beobachtete wachsam den fremden Segler. Schließlich atmete er auf. Es handelte sich um ein schnittiges kleines Schiff, der Sea Challenge nicht unähnlich. Nicht das Schiff von Piraten, sondern vielmehr Eigentum eines Gentleman. Die englische Flagge war deutlich erkennbar.
Als die beiden Segler gleichauf lagen, kamen die Lambert-Schwestern wieder zum Vorschein. Sie hatten luftige Sommerkleider angezogen und die Haare unter kleinen Hüten hochgesteckt. Ambrosia war in Weiß, Bethany in Grün und Darcy in einem dunklen Rosa gewandet.
Mistress Coffey hatte in aller Eile einen kleinen Lunch zubereitet, den sie jetzt unter dem Baldachin servierte. Winifred Mellon, gekleidet in ein weißes Kleid mit vielen Rüschen, trug einen kleinen Schirm zum Schutz vor der Sonne mit sich herum.
Die Lambert-Schwestern halfen ihrem Großvater in seine Jacke und setzten sich dann im Halbkreis zu ihm.
Riordan hatte das Ruder übernommen, und Newton kümmerte sich um die Segel. Schließlich lagen die beiden Schiffe auf einer Höhe und
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