Historical Lords & Ladies Band 40
Verdacht bei ihr, Charlotte könnte recht haben, was seine Moral betraf.
Nur sekundenlang hielt er ihre ausgestreckte Hand fest. „Danke, dass du mich empfängst“, begann er mit jener tiefen, wohlklingenden Stimme, an die sie sich so gut erinnerte. „Ich weiß, wie schwer es dir fällt. Der Entschluss deines Bruders, seine Tochter in meine Obhut zu geben, muss dich schockiert haben. Sei versichert – ich nehme diese Verantwortung nicht auf die leichte Schulter. Offen gestanden, würde ich lieber darauf verzichten.“
Megan bewunderte seine Ehrlichkeit, und sie war froh, dass er ohne Umschweife zur Sache kam und ihr eine belanglose Konversation ersparte. Höflich bat sie ihn, vor dem Kamin Platz zu nehmen, und ging zu einem Tischchen, auf dem mehrere Karaffen standen. „Darf ich dir eine Erfrischung anbieten, Christian? Vielleicht ein Glas Burgunder?“ Als er nickte, fügte sie hinzu: „Im Augenblick ist meine Nichte nicht daheim. Bevor dein Brief eintraf, verließ sie das Haus, um eine Freundin zu besuchen. Aber meine Schwester Charlotte wird sie bald abholen. Das verschafft mir Gelegenheit, dir für die Freundlichkeit zu danken, die du meinem kranken Bruder erwiesen hast – und für deine Mühe, ein christliches Begräbnis für ihn zu arrangieren.“ Sie reichte ihm ein gefülltes Glas und setzte sich. „Seltsam, dass er schon seit einigen Monaten tot war, als uns die traurige Nachricht erreichte … Aber ich weiß natürlich, wie lange eine Schiffsreise von Indien nach England dauert.“ Während einer kurzen Pause starrte sie in die tanzenden Flammen, dann fragte sie: „Hat er sehr gelitten?“
Bevor er antwortete, zögerte er eine Weile. „Du weißt, dass er eine schwache Konstitution hatte. Als er Italien auf der Flucht vor den Franzosen verlassen musste, wäre es klüger gewesen, er hätte sich zur Rückkehr nach England entschlossen. Nur gesunde Menschen können das indische Klima verkraften. Charles litt an einer schweren Fieberkrankheit …“ Da er ihr die unerfreulichen Einzelheiten nicht zumuten wollte, fügte er nur noch hinzu: „Eine Zeit lang dachten wir, er würde sich erholen. Aber sein Körper war zu geschwächt, und letzten Endes starb er friedlich im Schlaf.“
Schweigend beobachtete Megan, wie er sein Glas in einem Zug leerte. Sie ahnte, wie schwierig es gewesen war, ihren todkranken Bruder zu pflegen, und sie wollte keine Fragen mehr stellen. Stattdessen schnitt sie das Thema an, das sie beschäftigte, seit sie Charles’ Testament kannte. „Wie mir dein Anwalt schrieb, hat er meinen Wunsch erfüllt und dir mitgeteilt, Charlotte und ich würden Sophie gern bei uns behalten. Leider verriet er uns nicht, wozu du dich entschlossen hast.“
Er gab keine Antwort und schaute sie nur an. Aus unerklärlichen Gründen beunruhigte sie dieser durchdringende Blick viel mehr als die Bewunderung, die sie bei Christians Ankunft in seinen dunklen Augen gelesen hatte. Sie sah, wie er eine Hand hob, als wollte er in die Tasche seines untadelig geschnittenen Jacketts greifen. Doch besann er sich anders, stand auf und trat ans Fenster. Sie starrte seinen breiten Rücken an und bemerkte die Anspannung in seinen kraftvollen Schultern. Offenbar wurde er von starken Gefühlen beherrscht. Empfand er Zorn oder verletzten Stolz? Und dann schöpfte sie einen bedrückenden Verdacht. „Du darfst nicht glauben, ich würde dich für einen ungeeigneten Vormund meiner Nichte halten.“ Wenn er sich auch nicht zu ihr wandte – er musste doch hören, wie aufrichtig ihre Stimme klang. „Aber Sophie lebt seit fünf Jahren bei uns, sie fühlt sich hier zu Hause, und sie hat viele Freunde in der Stadt gefunden. Wie du selbst zugegeben hast, wolltest du die Verantwortung nicht haben …“
„Gewiss, ich habe viele Fehler“, unterbrach er sie schroff. „Doch man kann mir nicht vorwerfen, ich würde mich vor meinen Pflichten drücken.“ Sein Gelächter klang hohl und bitter. „Für diese Gesinnung musste ich bereits einen sehr hohen Preis zahlen, meine Liebe.“
Der unverkennbar feindselige Unterton in seiner Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Anscheinend hegte er einen bösen Groll, aber gegen wen oder was, blieb ihr ein Rätsel.
„Als dein Bruder mich zum Vormund seiner Tochter bestimmte, hatte er seine Gründe“, fuhr er fort und setzte sich wieder zu ihr. Offensichtlich hatte er seine Wut überwunden, denn er brachte sogar ein Lächeln zustande. „Er dachte, du wärst zu jung, um
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