Historical Platin Band 04
wird Seana entdecken. Zu Fuß kommt sie nicht weit.“
Micheil verließ die Geschwister und verbrachte den größten Teil des Tages damit, in einem weiten Bogen langsam über das wellige, sich hinter dem Kloster gen Norden erstreckende Gelände zu reiten. Er wusste, dass Seana in den verflossenen zehn Sommern nicht hier gewesen war, da er ihren ersten Fluchtversuch vereitelt hatte. Er grübelte darüber nach, wie gut sie sich an die Strecke erinnern mochte, die sie bei der Verbringung ins Stift zurückgelegt hatte, und gestand sich ratlos ein, das nicht beurteilen zu können. Vielleicht hielt sie auf die Küste zu. Möglicherweise war ihr geläufig, dass ständige Scharwachten über seine Besitzungen ritten. Im Süden herrschten die Sippen der MacFrasers und MacGrants, die ihr bestimmt nicht Unterschlupf bieten würden. Sie musste durch freies Gebiet ziehen, Hausgut der MacAlbanys, um das hoch im Norden gelegene Craigell Castle zu erreichen. Einer Eingebung folgend, hielt Micheil sich gen Osten und gab gut acht, ob Seana irgendwo zu sehen war.
Von Katen in die laue Frühlingsluft aufsteigender Rauch veranlasste ihn, sich dem Weiler fernzuhalten. Dort würde Seana gewiss nicht Schutz suchen. Daran bestand für ihn kein Zweifel. Die im Flecken lebenden Landsassen waren Hörige seiner Sippschaft.
Die Zeit verfloss, und noch immer hatte er Seana nicht aufgespürt. Der Tag neigte sich, und Micheil war klar, dass er rasten musste. Hätte er die Suche fortgesetzt, wäre ihm wahrscheinlich die Möglichkeit entgangen, einen Hinweis darauf zu bekommen, wo Seana sich befand.
Am Waldesrain saß er ab, band den Apfelschimmel fest und hüllte sich in das mitgebrachte Plaid. Er versuchte zu schlafen, vermochte es indes nicht. Ständig sorgte er sich um Seana, die nun irgendwo allein war, zahllosen Gefahren ausgesetzt, noch dazu ohne Waffe, um sich verteidigen zu können. Den Kopf auf den Sattel gelegt, starrte er durch die noch nicht voll belaubten Kronen der Bäume zum Himmel. Nur wenige Sterne waren zu sehen, und die Luft war frisch. Er fragte sich, wo Seana jetzt sein mochte, und nahm sich vor, sie für die Flucht büßen zu lassen.
Morgens nahm er die Suche wieder auf, ohne jedoch eine Spur von Seana zu entdecken. Je höher die Sonne am Firmament stieg, desto größer wurde der Zorn auf Seana. Hungrig geworden, musste er Rast einlegen. Er ließ sich am Ufer eines Gewässers nieder, das durch ein liebliches Tal floss. Das Bergwasser war kalt. Sobald er den Durst gelöscht hatte, bespritzte er sich das Gesicht. Dann stärkte er sich mit dem mitgebrachten Proviant. Friedliche Stille umgab ihn, und das Summen der Bienen machte ihn schläfrig. Er musste den in der vergangenen Nacht verlorenen Schlaf nachholen.
Im ersten Moment wusste er nicht, was ihn wach gemacht hatte. Er blickte zum Hengst und sah, dass er lauschend die Ohren aufgestellt hatte. Offensichtlich war auch dem Apfelschimmel etwas Ungewöhnliches aufgefallen. Sogleich griff er nach dem Schwert.
Plötzlich verstummte der Schrei eines Brachvogels. Micheil schwang sich auf das Ross, schlug alle Vorsicht in den Wind und ritt, um die Ursache für sein Unbehagen herauszufinden, aus dem Tal. Lautes Geschrei verschreckte den Apfelschimmel. Er stieg auf die Hinterläufe, doch geschickt vermochte Micheil, sich auf ihm zu halten. Aus einem schmalen Gehölz drang der Lärm jagender Leute herüber. Er beruhigte den Hengst, doch sein Unbehagen legte sich nicht. Gleich darauf vernahm er einen schrillen Schrei, der jäh abbrach, und trat unverzüglich dem Apfelschimmel in die Weichen. Es war nicht der Klagelaut eines waidwunden Tieres gewesen, sondern der eines Weibes.
Micheil presste die Lippen zusammen und zog das Schwert aus der Scheide. Er war allein und wusste nicht, was ihn erwartete. Er verzichtete darauf, den Kriegsruf der MacGlendons auszustoßen, bis er überschauen konnte, was vor ihm geschah. Mit donnernden Hufen preschte der Apfelschimmel voran. Nun erkannte Micheil drei Männer, die am Rande des Forstes ein Weib verfolgten. Am hellen, im Licht aufschimmernden Haar der Frau konnte er sehen, wo sie sich befand. Da die Männer in der Überzahl waren, griff er in das Geschehen ein.
„Heilige Jungfrau Maria!“, schrie Seana auf. Sie hatte gehofft, das prasselnde Geräusch möge Regen sein, der ihr bei der Flucht nutzen konnte, doch mit einem Blick zurück sah sie, dass ein Reiter sich ihren Verfolgern anschloss. Nun war sie verloren. Sie musste unverzüglich das
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